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Liebe auf südlichen Straßen

Liebe auf südlichen Straßen

Titel: Liebe auf südlichen Straßen
Autoren: Horst Biernath
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hinein. Lorenz fuhr so dicht am Straßenrand entlang, daß die Pappelstämme in fußbreitem Abstand vorüberflitzten.
    »Ein alter Bauer...«, antwortete er schließlich zögernd, »Nonno Anselmo, ja, Großvater Anselmo... Er war hoch in den Siebzigern und hatte keinen Zahn mehr im Munde. Ein krummgearbeiteter, alter, dürrer Mann, der dort ein paar Olivenbäume und ein Limonenspalier besaß. Eine Armut, von der du dir kaum einen Begriff machen kannst.«
    »Und dieser Mann hat dich gepflegt und verborgen?«
    »Ja, der alte Nonno Anselmo hat mich gepflegt...«
    »Und dann?!« rief sie ungeduldig und fast ein wenig empört, daß er sich jedes Wort einzeln herauskitzeln ließ.
    »Nun ja, ich bin davongekommen...«, sagte er ein wenig nervös und scheinbar auf die Straße konzentriert, »aber es sind trotzdem keine sehr angenehmen Erinnerungen. Es waren Stoffteile in den Wundkanal geraten. Ich bekam Fieber, und es gab keine Medikamente. Aber selbst wenn es welche gegeben hätte, so hätte der Alte mir keine besorgen können, ohne sich verdächtig zu machen. Er behandelte mich auf seine Art, und die war nicht gerade appetitlich. Die Wunde schloß sich erst Monate später in Padua, als man die Stoffetzen nach langem Sondieren daraus entfernte. Es war eine scheußliche und schmerzhafte Prozedur...«
    »Hast du den alten Anselmo nach dem Kriege noch einmal besucht?«
    »Nein...«, antwortete er zögernd, »denn als ich ihn besuchen wollte, erfuhr ich, daß er inzwischen gestorben war.«
    »War der alte Mann ganz allein?«
    »Ja, ganz allein... Das heißt, er hatte einen Sohn, Matteo, aber der war schon bei den Kämpfen um Tripolis gefallen. Und er hatte auch eine Schwiegertochter. Aber die lebte irgendwo anders. In Mailand oder Turin, ich weiß es nicht mehr genau. Manchmal besuchte sie ihn, um ihm bei der Bestellung des Gartens zu helfen.«
    Die Reklametafeln am Straßenrand und die zahlreichen Hinweise auf die Servizii von Auto- und Rollermarken zeigten an, daß sie sich Rovereto näherten. Elisabeth zog die Karte aus der Seitentasche und breitete sie aus.
    »Nicht nötig«, sagte er, »hier gibt es keine Irrtümer. Die Straße läuft schnurgerade durch Rovereto hindurch, dann kommt Ala — hast du eigentlich schon einmal ein Kreuzworträtsel gefunden, worin nicht eine Stadt mit drei Buchstaben in Südtirol geraten werden muß? und dann haben wir nicht mehr als eine gute Stunde nach Verona. Ich kenne da ein kleines Hotel hinter der Porta Leone. Es gibt dort Brathähnchen am Spieß, zart wie Butter, und einen Toskanerwein, Verdua di Alcetri, einfach ein Gedicht!«
    Aber weder die delikaten Brathähnchen noch der Wein schienen Elisabeth besonders zu verlocken; sie fuhr trotz seiner Bemerkung, daß er sich in dieser Gegend gut auskenne, mit dem Finger über die Karte. Die ersten Häuser von Rovereto tauchten auf, Tavernen mit staubigen Kübeloleandern zwischen den Blechtischen.
    »Es lohnt sich wirklich nicht, hier zu halten«, meinte er. »Etwas weiter südlich liegt eine schöne Wallfahrtskirche, Madonna del Monte; man hat dort einen prachtvollen Blick auf das Val Lagarina, aber solche Ausblicke linden wir weiter unten zu Dutzenden.«
    »Danach habe ich gar nicht gesucht... Aber kurz hinter Rovereto zweigt eine Straße rechts über Mori nach Torbole und Riva ab...«
    »Ja, und?« fragte er ein wenig überrascht, als spüre er bei blauem Himmel den ersten Regentropfen auf der Stirn.
    »Hat es dich denn niemals gereizt, Gargnano wiederzusehen? Gargnano und alle Orte, mit denen dich Erinnerungen aus jenen Tagen verknüpfen?«
    »Ja... gewiß...«, murmelte er und suchte mit der rechten Hand nach einer Zigarette, »oder — wenn ich ehrlich sein soll — bisher eigentlich nicht...«
    »Wie!« rief sie erstaunt, »das verstehe ich wirklich nicht.«
    »Ach, weißt du, Erinnerungen... Ich bin noch nicht so alt, um Erinnerungen nachzugehen... Vorläufig möchte ich Neues erleben...«
    »Aber ich fände es interessant! Ich möchte etwas von deinem Leben erfahren, ich möchte die Hütte sehen, in der dich der alte Anselmo verborgen hielt. — Aber du scheinst davon gar nicht besonders angetan zu sein, wie?«
    »Doch... doch...«
    »Ich verstehe dich nicht, daß du so zögerst«, sagte sie ein wenig befremdet, »ich würde von dieser Hütte träumen!«
    »Ich träume auch davon...«, sagte er und starrte auf die flimmernde Straße, »ich träume, daß ich hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken liege und daß sich ein paar Kerle mit
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