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Lichtschwester - 8

Lichtschwester - 8

Titel: Lichtschwester - 8
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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ihrem Schwert und zog schon blank, als sie behend auf die Füße sprang. Aber sie war einen Herzschlag langsamer als Tarma, die schon auf die Baumreihe am Flußufer zulief, von wo Jadries Schrei gekommen war. »Mama, rasch!« schrie Jadrie erneut. Da war Kethry gottfroh, daß sie nach Shin’a’in-Sitte keinen Rock, sondern eine Reithose trug, und sie flog wie der Wind den Trampelpfad entlang, den die Herden bei ihrem Zug zweimal täglich zur Tränke getreten hatten. Als sie sich durch den dichten Saum der Büsche gekämpft hatte und auf das weidenüberschattete Flußufer hinaustrat, da erblickte sie als erstes, kaum eine Pferdelänge vor sich, ihre Jadrie, die wie angewurzelt dastand und, das Gesicht so weiß wie der Flußsand und beide Hände im Mund vergraben, wie gebannt auf etwas starrte, das vor ihr im Wasser lag.
    Da steckte Kethry das Schwert ein, stürzte zu ihrer Tochter und hob sie empor und drückte sie ganz fest an sich, und ein Gefühl der Erleichterung, so stark, daß ihr davon die Knie weich wurden, überflutete sie. Jadrie barg ihr Gesicht an ihrer Schulter und ließ ihren Tränen nun freien Lauf.
    Erst jetzt blickte Kethry auf die Fluten zu ihren Füßen hinab, um zu sehen, was ihr doch sonst so furchtloses Töchterlein vor Angst fast außer sich gebracht hatte.
    Da sah sie Tarma vor sich am Ufer knien … und neben ihr etwas liegen. Eine Leiche - aber so übel zugerichtet … Dem Teint nach ein Shin’a’in, den Kleidungsresten nach ein Schamane. Tarma hatte den Mann aus dem Wasser gezogen und auf den Rücken gedreht. Ein dichtes Geflecht blauroter Brandstriemen, wie von einer Peitsche aus dünnen, rotglühenden Drähten geschlagen, überzog seine Brust. Kethry hatte bereits zur Genüge Leichen von Gefolterten gesehen, aber dieser Anblick ließ selbst ihr noch übel werden. Sie konnte nur hoffen, daß Jadrie den Toten nur undeutlich, vom Wasser oder Schlamm des Flusses bedeckt, zu Gesicht bekommen hatte.
    Wohl doch nicht, so wie sie schluchzte und zitterte. Mein armes Kind …
    Da bewegte sich der Mann und stöhnte leise. Kethry hielt den Atem an: Der lebte ja noch! Wie konnte nur jemand eine so schreckliche Folter überstehen?
    Tarma sah stumm zu ihr auf. Und in ihrem Blick stand wieder diese kalte Wut, dieses Dafür wird jemand bezahlen müssen. Und bring das Kind von hier fort.
    Das genügte Kethry. Sie machte schleunig kehrt und stolperte, so schnell sie das mit ihrer sechsjährigen Tochter im Arm vermochte, in Richtung Lager zurück.
    Da schwärmten die übrigen Shin’a’in schon wie zornige Wespen aus dem Lager - Wespen mit Stacheln, wohlgemerkt, schwang doch jeder von ihnen eine Waffe. Und Kethry wies im Laufen hinter sich, zum Fluß, und stieß etwas ihr selbst Unverständliches über den Heiler hervor … das aber irgendeinen Sinn zu machen schien, beflügelte es doch den Heiler der Shin’a’in - den Mann, der Jahre zuvor die bereits todgeweihte Tarma mit seiner Kunst und Fürsorge ins Leben zurückgeholt hatte - zu einem Spurt, mit dem er alle anderen bald hinter sich ließ.
    Als die Stammesleute an ihr vorbeiliefen, verlangsamte sie ihren Schritt. Jadrie weinte nicht mehr; sie zitterte nur noch, und das trotz der drückenden Hitze. Da drückte Kethry sie fester an sich. Jadrie war bisher das sonnigste und sensibelste all dieser Kinder gewesen; für sie war die Welt bloß ein einziges, großes Abenteuer gewesen.
    Aber heute … hatte die Kleine lernen müssen, daß Abenteuer auch gefährlich sein können.
    Heute hatte sie eine der bittersten Lektionen des Lebens gelernt, daß diese Erde kein freundlicher Ort ist. So ließ sich Kethry in der Kühle des nächstgelegenen Zeltes nieder und hielt Jadrie fest umfangen, als die ob der schmerzlichen Lektion wiederum in Tränen ausbrach. Nach einer Weile, da sie das noch weinende Kind wiegte, hörte sie die Menge zurückkehren und mit zornigen und ängstlichen Rufen vorüberziehen, hin zum Zelt des Heilers. Als Jadrie sich müde geweint hatte, legte Kethry sie in dem Zelt schlafen, das sie sich mit Tarma und den vier Kindern teilte, und nahm allen Mut zusammen und machte sich selbst zum Heiler auf.
    Der Platz vor dem Zelt war leer. Die Menge hatte sich zerstreut. Aber das ganze Lager war in Alarmbereitschaft. Obwohl äußerlich alles wie gewohnt wirkte, war eine Spannung zu spüren - wie bei einem hinterm Horizont aufziehenden Sturm, der noch außer Sicht, aber schon zu fühlen ist. Als Tanna jetzt aus dem Zelt trat, ging Kethry forschenden
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