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Lichtjahreweit

Lichtjahreweit

Titel: Lichtjahreweit
Autoren: Thomas Ziegler
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Ruhrstadt und die ganze Republik ausradieren werden, wenn es zum großen Knall kommt. Ist euch eigentlich klar, daß wir auf den Logenplätzen sitzen werden, wenn der letzte Akt des Welttheaters beginnt? Wahnsinn, sage ich! Ruhrstadt wird zur Zielscheibe für einen Haufen kranker Atomkrieger, und dann ist’s Essig mit den Sahnetörtchen zum Kaffeeklatsch, den Nummern im Ehebett und …«
    Jemand zupfte an Alfs Ärmel.
    Unwirsch drehte er den Kopf und blickte auf das schwarzgelockte Haupt von Robert Warschinzki – wie Alf Bewohner eines Hinterhofzimmers auf dem Holunderberg. Robby Warschinzki, früher exponiertes Mitglied einer Bürgerinitiative gegen die Ruhrstädter Baumafia, später Gründer der Legalize Achselschweiß!- Bewegung und seit kurzem PR-Mann der Holunderberger Friedensgang, war im vorigen Jahr von der Rot-Grünen Bundestagsfraktion für den Jugendförderpreis der Bonner Politprofis nominiert worden. Ein Antrag, der mit einhelliger »Entrüstung« zurückgewiesen wurde, ohne daß derselbigen eine Verringerung des deutschen Massenvernichtungspotentials folgte. Soviel zur Verwirrung der Sprache.
    »Auf diese Weise«, erklärte Robby und schob die unvermeidliche Acapulco-Gold in den anderen Mundwinkel, »lockst du keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Für die braven Bürger hier bist du doch nur irgendein Verrückter, der auf seine Langzeittherapie in der Psychiatrischen Landesklinik wartet. Die Wahrheit ist einfach zu monströs. Bloße Worte sind nicht stark genug, um die Leute aufzurütteln.«
    Alf stieg von der Brunnenumrandung und kratzte sich am Hinterkopf. »Aber was schlägst du als Alternative vor?« wandte er sich an Robby Warschinzki. »Ich hielt meinen Einstieg in die Friedensbewegung für gar nicht so unübel.«
    »Eine Frage des Maßstabs«, entgegnete Robby mit analytischer Brillanz. »Was dir fehlt, ist ein gewisses spektakuläres Element. Du mußt Aufmerksamkeit erregen. Sonst kümmert sich kein Arsch um dich.«
    Über Mangel an Aufmerksamkeit konnte Professor Onnedecker in seinem Heilbronner Bordellapartment nicht klagen. Im Gegenteil. Liu Changs Geschrei ließ nicht nur die Damen und Freier aus den angrenzenden Apartments ins Zimmer stürzen; auch Bernie Guthoff polterte mit seinen schwarzen Schaftstiefeln die Treppe hinauf. In der Hand hielt er drohend einen Runendolch Made in Hongkong, einen der beliebtesten Artikel im umfangreichen Warenangebot der Blubo- GmbH & Co. KG.
    Die Knolle an Onnedeckers bleicher Wade hatte zu diesem Zeitpunkt schon die Größe eines Kinderkopfes erreicht, und Annegret Saperlotzki war in ihrer Hysterie dabei, das mörderische Produkt der Rayer-Forschung aus ihrem Bauchnabel zu kratzen – nicht ahnend, daß sie dadurch der Spore KMK-37 Gelegenheit gab, sich weiter zu verbreiten.
    »Meine Scheiße, was is’n hier los?« brüllte Bernie und fletschte die dritten Zähne. Auf der Türschwelle blieb er stehen, starrte die kreischende Asiatin, die anderen Damen, die halbnackten Freier und schließlich Professor Onnedecker an, der deprimiert auf der Bettkante hockte. »Wer Stunk macht, der fliegt hochkantig ’raus!«
    Erst jetzt erkannte er den prominenten Professor. »He, was hamse denn da an Ihrem Bein? Das sieht ja ausgesprochen widerlich aus. Früher hätte sich kein anständiger Mensch mit so was in meinen Puff getraut. Was hat das zu bedeuten, Professor?«
    Onnedecker hob langsam den Kopf. »Tut mir leid, Bernie, aber ich habe nichts davon geahnt. Irgendwie muß ich mich im Labor mit KMK-37 infiziert haben. Eine Spore. Sie führt zu einer Entartung des Zellkerns. Das Resultat ist die totale Verknollung des Opfers. Die Entartung …«
    Bernie Guthoff wurde hellhörig. Mit dem Daumen prüfte er die Schärfe des Runendolchs. »Entartung? Und das in meinem Puff!« Noch wußte er nichts von den beiden braunschwarzen Knollen, die sich in den Falten seines schlaffen Gesäßes gebildet hatten.
    Auch Alf war nach wie vor ahnungslos. »Publizität«, brummte er und warf den hin und her wogenden Menschenmassen auf dem Platz der Kultur einen nachdenklichen Blick zu. »Da liegt Wahrheit drin, Robby. Aber Publizität kostet einen Haufen Geld, und meine derzeitige finanzielle Lage ist so desolat, daß sogar die Bank von Kuwait mit der Schuldenregulierung überfordert wäre. Ich fürchte, ich werde meine Ein-Mann-Kampagne mit meinen bescheidenen Mitteln fortsetzen müssen.«
    Die Nachrichtenwand des Supermarktes flimmerte.
     
    MAGENDRÜCKEN?
    EIN UMFANGREICHES SORTIMENT AN
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