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Lichtjahreweit

Lichtjahreweit

Titel: Lichtjahreweit
Autoren: Thomas Ziegler
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einer von diesen Burschen in Spangdahlem hätte auch nur die blasseste Ahnung, was eine Cruise Missile ist? Wahrscheinlich kann nicht einmal der örtliche Zwergschullehrer das Wort fehlerfrei buchstabieren. Und das bei dieser Sprengkraft!«
    Erika kräuselte unmutig die Stirn. »Was redest du da eigentlich? Was ist überhaupt mit dir los?«
    »Ich steige in die Friedensbewegung ein«, sagte Alf ernst. »Diese ausländischen Raketenstellungen auf unserem Boden sind die größte Bedrohung seit der letzten Sintflut.«
    »Stellungen?« echote Erika.
    »Es gibt Dutzende davon«, nickte Alf.
    Erika machte: »Wow!«
    »Und ich werde etwas dagegen unternehmen.« Alf schlüpfte in sein deodoriertes Netzhemd.
    Das erschien Erika schwerlich nachvollziehbar. »Aber warum denn, um Himmels Willen?«
    »Weil mir nichts an einer strahlenden Zukunft liegt.« Ein äußerst spitzzüngiges Bonmot, sagte sich Alf zufrieden, kaum, daß er den Satz ausgesprochen hatte. Mit geübten Bewegungen befestigte er seine private Meinungsplakette am Kragen des Netzhemdes, drückte auf den Sensorpunkt in der Plakettenmitte und las die Sprüche, die nacheinander über die fotosensitive Beschichtung wanderten:
     
    RETTET DIE DEUTSCHEN GUMMIBÄRCHEN
    TELEPATHIE – JETZT ODER NIE
    DATEN? – VON MIR NICHT!
     
    Dann, nach einem Moment des Nachdenkens, holte er das Thai-Stick aus der Nachttischschublade und deponierte es im Geheimfach unter der Gürtelschnalle seiner Jeans, die, dem modischen Trend folgend, am Hinterteil mit dem Aufdruck des Sternenbanners versehen war. Dunkel erinnerte er sich, daß die Entweihung der US-Fahne in Alabama Zusammenrottungen der WASP-Spießer und den präventiven Einsatz der Nationalgarde ausgelöst hatte. Der Hersteller der Star-Spangled-Jeans hatte bei Nacht und Nebel das Land verlassen müssen und fristete nun auf einer karibischen Insel ein Emigrantendasein als heimatvertriebener Multimillionär. Wenn die Bomben endlich fallen, so die offizielle Stellungnahme des Pentagons zu diesem Skandal, wird dieser Nihilist eine Hauptrolle im nuklearen Holocaust spielen.
    Erst jetzt kam Erika die Erleuchtung, daß Alf sich ausgehfertig machte. Alarmiert richtete sie sich auf. »Wo, zum Teufel, willst du hin?«
    »Ich nehme den Kampf gegen den Rüstungswahnsinn auf«, antwortete Alf. Und mit einer großartigen Geste fügte er hinzu: »Seht, ich sage Euch: Das Faß ist voll.«
    »Also verläßt du mich? Für immer? Was bist du doch für ein kaltschnäuziges Subjekt.« Erika griff nach ihrem gerüschten Morgenmantel. »Dann hau doch endlich ab, du gottverdammter Scheißkerl!«
    »Mit diesen Argumenten wirst du mich kaum zum Bleiben überreden«, stellte Alf würdevoll fest. »Außerdem ist mir gerade etwas Gewichtiges eingefallen. Über diese Bunker. In der Eifel.«
    »Bunker? Eifel?« wiederholte Erika. »Was hat dieser Unfug mit unserer zerbrechenden Liebesbeziehung zu tun?«
    Alf seufzte. »Mein Unterbewußtsein hat soeben ein Psychoprofil der Atomkrieger entworfen. Einzig und allein die atombombensicheren Regierungsbunker in der Eifel sind der Grund für die nuklearen Kriegspläne der Politprofis. Ich meine – wie sollen die Bonner Bonzen denn ernsthaft für die Bewahrung des Friedens eintreten, wenn sie überzeugt sind, im Ernstfall ihren teuren Arsch in Sicherheit bringen zu können? Das führt doch zu den schwersten psychologischen Interessenkonflikten. Schließlich hat jeder so seine Feinde. Und der Gedanke, alle Neider auf einen Schlag – respektive Atomschlag – loszuwerden, dürfte charakterlosen Lumpen wie unseren Politprofis äußerst verlockend erscheinen. Ich meine – das ist doch denkbar, oder?«
    »Jetzt weiß ich, was mit dir los ist«, sagte Erika erleichtert. »Du bist durchgedreht. Du hast endlich den letzten Rest Verstand verloren. Kein Mädchen kann es auf die Dauer ertragen, mit einem Geisteskranken zusammenzuleben. Es ist schrecklich, es ist traurig, es ist herzzerreißend, aber ich steige aus unserer Beziehungskiste aus. Oder ich bin bald selbst reif für die Klapse.«
    Als Erika sich zu ihrem Trennungsentschluß durchrang, hatte Professor Onnedecker bereits das Foyer von Bernies Bordell durchschritten und stieg die Holztreppe hinauf, die zu den Appartements der Damen – und Herren – führte. Begleitet wurde der genetische Professor von einer spitzbrüstigen Asiatin namens Liu Chang. Allerdings: Liu Chang hieß in Wirklichkeit Annegret Saperlotzki und hatte ihr fernöstliches Aussehen in der
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