Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Titel: Lettie Peppercorn und der Schneehaendler
Autoren: Sam Gayton
Vom Netzwerk:
zusammen, und ein Tropfen Äther wurde ins Röhrchen gesaugt.
    Dann wandte er sich Lettie zu. »Wäre vielleicht besser, wenn du eine Lampe anmachst.«
    »Warum?«, fragte sie zitternd. »Was bewirkt denn der Äther?«
    Der Schneehändler lachte laut. »Nun ja, Äther ist Alchemie. Und was tun wir Alchemisten? Wir verändern Dinge. Jede alchemistische Substanz bewirkt eine andere Veränderung. Mammonia verwandelt Kieselsteine in Schillinge. Gastromajus, ein anderer Trank aus meiner Sammlung, verwandelt Leute in ihre zuletzt eingenommene Mahlzeit.«
    »Und was bewirkt Äther?«, wiederholte Lettie.
    »Er verändert die Temperatur!«, erwiderte der Schneehändler und träufelte den Äthertropfen ins Feuer. Augenblicklich erloschen die Flammen, der Raum wurde in tiefe Dunkelheit getaucht. Und in einen seltsamen Geruch, als liege ein Sturm in der Luft. Die zwei Frauen in den Lehnsesseln schrien auf, der Schneehändler fluchte: »Ich hab doch gesagt, du sollst Licht machen!«
    Lettie tastete sich bis in die Küche, fand dort eine Lampe und brachte sie mit zurück. Nach einer Weile gewöhnten sich ihre Augen an das schwache Licht. Der Schneehändler zog die Vorhänge auf, um die wolkenlose Nacht hereinzulassen. Mondstrahlen sickerten ins Zimmer und fanden sich auf den Fenstersimsen zu wächsernen Pfützen zusammen. Der ganze Raum sah aus, als wäre er in teures Silber getaucht. Die Teller, die neben dem Pianola aufgereiht standen, glänzten wie überdimensionale Münzen.
    »So gefällt mir das Zimmer fast noch besser«, sagte Lettie.
    »Mir nicht!«, entgegnete das Walross und erhob sich aus dem Lehnsessel, ihren Mantel eng um sich gewickelt. Sie trug eine gepuderte Perücke, die ihr eine Größe zu groß war und ihr deswegen ständig in die Stirn rutschte. Ihre mit Diamanten verzierten Kandelaber-Ohrringe baumelten hell klirrend hin und her.
    »Die Kälte dringt ja bis in die Knochen!«, jammerte sie. »Eine Tasse Tee wäre wohl das Mindeste. Mit Sahne und drei Stück Zucker … nein, lieber fünf.«
    »Ich nehme Pfefferminz«, fügte die Glotzerin hinzu. »Mit einem Schuss Rum.«
    Aber Lettie hatte keine Lust, jetzt den Teekessel aufzusetzen. Ihr Kopf war ein einziger Kessel voll brodelnder Fragen.
    »Wissen Sie denn, was Schnee ist?«, fragte sie die beiden alten Frauen.
    Das Walross lächelte süßlich. »Das ist nicht die Frage, die du jetzt stellen solltest.«
    »Und warum nicht?«
    »Weil es hier jetzt nicht um diese Frage geht«, erwiderte das Walross, die Stimme um mehrere Töne angehoben.
    »Um welche Frage geht es denn dann?«
    »Die Frage, die sich hier stellt«, kreischte das Walross, »lautet: Wie oft muss man hier als Gast um eine Tasse Tee bitten, bis man sie endlich bekommt?! «
    »Ruhe!«, zischte der Schneehändler und tröpfelte etwas von dem Äther auf die Pianolatasten. »Sie können sich glücklich schätzen, dass ich Sie überhaupt an meinem alchemistischen Tun teilhaben lasse.«
    »Uns glücklich schätzen?«, schrie das Walross. »Wir sitzen hier auf dieser kleinen, trostlosen Insel fest und warten auf ein Schiff nach Laplönd. Das ist kein Glück, sondern Folter!«
    Lettie wusste all dies schon längst aus ihrem Gästebuch. Die Walrossfrau war weit weg in Bohemien gewesen, wo die Glotzerin ihr ein besonderes Paar Kandelaber-Ohrringe angefertigt hatte. Nun waren sie beide auf dem Rückweg nach Laplönd, um mit den Ohrringen anzugeben.
    Die Glotzerin rieb über die Ringe an ihren Händen. Lettie konnte an einem ihrer Finger mindestens sieben zählen (die Glotzerin hatte für jemanden mit ihrer kleinen Statur erschreckend lange Finger).
    »Ich weiß nicht, was schlimmer ist«, sagte die Frau, »die ewige Langeweile oder die Frostbeulen.«
    »Der Wind, der ist am allerschlimmsten«, schnaubte das Walross. »Der lässt das Gasthaus so hin und her schwanken, dass einem ganz anders davon wird …«
    »Ich versuche gerade, diesen Raum einzufrieren!«, donnerte der Schneehändler dazwischen und knallte den Pianoladeckel zu. »Und Sie füllen ihn ständig aufs Neue mit heißer Luft! Jetzt bleiben Sie endlich mal ruhig sitzen!«
    Außer sich vor Wut starrte das Walross ihn an. Aber dann ließ sie sich doch wieder in ihren Lehnsessel plumpsen.
    »Ich will eine Tasse Tee«, verkündete sie und wedelte mit ihrem fleischigen Zeigefinger durch die Luft. »Für eine Dame meines Formats wird es hier doch wohl eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen geben!«
    »Madam«, ging der Schneehändler dazwischen. »Wenn Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher