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Lesereise Mallorca

Lesereise Mallorca

Titel: Lesereise Mallorca
Autoren: Helge Sobik
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einmal gesagt, »habe ich den Himmel Mallorcas bewundert. Und in der Nacht hat mich hier die Spur einer Sternschnuppe, das Leuchten eines Glühwürmchens, das Blau des Meeres verzaubert.« Als alter Mann hat er diese Stimmung mit wenigen Zeichen und Farbtönen auf Leinwand gebannt.
    Gerne setzte er sich in die Kathedrale von Palma, ohne ein besonders gläubiger Mensch gewesen zu sein. Es ging ihm weniger ums Beten als um den Raum der Andacht, als um die seinerzeit inspirierende Stille in der Kathedrale Sa Seu. Die Zuneigung zu diesem Gotteshaus ging so weit, dass Miró der Gemeinde anbot, ein großes Kirchenfenster zu gestalten. Sie lehnte ab.
    Viel Inspiration zog er aus langen Spaziergängen auf der Insel, die seine Heimat wurde, aus der Natur, aus Kleinigkeiten, die er dort fand: aus einer seltsam geformten Mandel zum Beispiel, die er beim Wandern aufsammelte und nach einem prüfenden Blick in die Manteltasche gleiten ließ und nach deren Vorbild er eine Bronzeskulptur entwarf. Sie steht heute in der Innenstadt von Palma. Er zog seine Inspiration aus Steinen, Zweigen, auch aus Muscheln, die er am Strand sammelte.
    »Wo immer wir gingen«, hat Serra noch vor Augen, »tastete er die Umgebung mit Blicken ab, und oft schaute er auf den Boden, um sich kurz darauf zu bücken, etwas aufzusammeln und in die Jackentasche gleiten zu lassen. Joan Miró konnte sich für die kleinen Dinge begeistern, er freute sich an ungewöhnlich geformten Steinen, zeigte sie dann herum.«
    Oft haben die beiden sich in der Gegend von Sollér verabredet, immer wieder kam das Ehepaar Miró zu Besuch ins Haus von Pere Serra ebenso wie zu dessen Eltern. Manchmal sind sie im Restaurant C’an Amer in Inca essen gewesen, das es noch heute gibt: »Miró hat dort mal einen Keks immer und immer wieder zwischen den Fingern gewendet, dessen Form bewundert und ihn schließlich mitgenommen – um ihn später zu Hause in eine zwei Meter große Bronzeskulptur zu verwandeln.«
    Und gerne sind sie hinterher stundenlang im Tramuntana-Gebirge spazieren gegangen. Miró, ein erklärter Gegner der Diktatur in Spanien, hat Serra dann gebeten, ihm neueste Franco-Witze zu erzählen. Er konnte nicht genug davon bekommen – und riskierte sogar einmal, dass die Guardia Civil in Son Abrines erschien und ihm der Pass zeitweilig abgenommen wurde, weil er es gewagt hatte, an einer Anti-Franco-Kundgebung teilzunehmen. Wenn sie wanderten, haben sie viel darüber gesprochen, welchen Weg Spanien wohl nehmen würde, wenn der verhasste Diktator endlich weg wäre. Und sie haben über Kunst gesprochen, über Künstler.
    Ob eine Frage all die Jahre offen geblieben ist? Eine, die er auszusprechen versäumt hat und die er dem alten Freund im Nachhinein allzu gerne noch stellen würde? Serra überlegt nur sehr kurz. »Keine. Es ist nichts offen geblieben. Wir haben immer über alles gesprochen. Ich habe jede Frage gestellt, die mir in den Sinn kam. Und Miró hat sie alle beantwortet – selbst die indiskreteste.« Welche das gewesen ist? »Die nach dem bedeutendsten Künstler des Jahrhunderts.« Für Miró gab es keinen Zweifel: »Erst auf jeden Fall Picasso. Dann Picasso. Und danach Picasso. Dann irgendwann Moore, Klee, Kandinsky, ich. Und noch ein paar.« Er hat dann wieder hinuntergeschaut auf den Waldboden in der Tramuntana. Und einen Stein aufgesammelt.
    Mirós Wohnhaus, inzwischen von dem 1992 eröffneten Museumskomplex der Stiftung und dem Sert-Atelier zur Hälfte umfasst, ist unterdessen für die Nachwelt verloren – obwohl es sich so wunderbar in den Gesamtkontext der Anlage gefügt, obwohl es das Bild vom Leben dieses Künstlers so gut abgerundet hätte. Künstlerenkel Joan Punyer wohnt dort, lebte jahrelang im Haus seines übermächtigen Großvaters, schaute manchmal vom bogenumfassten Umlauf aus herab auf das Museum und seine Besucher – und ließ kürzlich weite Teile des Hauses abreißen und in minimalistischem Stil völlig neu errichten. Jetzt hat es sich gehäutet, das Gesicht völlig gewandelt – als ob der Enkel sich freistrampeln und an selber Stelle aus dem großen Schatten treten wollte. Er hat den weltberühmten Großvater gegen alle Proteste herausrenoviert, nun ist es einzig das Haus des Enkels. Magdalena Aguiló Victory will das nicht kommentieren, schüttelt nur leicht den Kopf, aber ihre Augen scheinen »Was für eine Schande!« zu sagen. Pere Serra aber hat einen Schatz, der über den Verlust hinweghilft: seine Erinnerung. Mit all ihren
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