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Lesereise Mallorca

Lesereise Mallorca

Titel: Lesereise Mallorca
Autoren: Helge Sobik
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Konferenztisch, für ein paar Regale und die Sofa-Sitzecke, die mit Kunstbüchern vollgestapelt ist. Die Klimaanlage brummt leise. Und an den Wänden hängen dicht an dicht die wichtigsten Werke seiner Kollektion: gegenüber neben dem Konferenztisch ein wenig in die Ecke gedrängt René Magrittes Gemälde »La séduction inattendue« von 1942, das auf einer Auktion für knapp über neunhunderttausend Euro zugeschlagen wurde, gegenüber vom Schreibtisch ein Bild von Kees van Dongen in hellen Blautönen, über dem Sofa eingezwängt eine Taube von Georges Braque. Auf dem Fußboden steht ein gerahmter Fernand Léger. Und wo immer ein wenig mehr Platz frei war, hängen Arbeiten des großen alten Freundes: von Joan Miró.
    Entstanden sind fast alle diese Werke im Atelier auf Mallorca – die älteren in den großen, unmöblierten Räumen der Finca Son Boter aus dem 18. Jahrhundert, die Miró zunächst als Atelier nutzte und wo später vor allem seine Skulpturen entstehen sollten. Die jüngeren in einem Gebäude, das der Künstler auf dem großen Grundstück unterhalb des alten Herrenhauses und nur ein paar Schritte von seinem Wohnhaus Son Abrines von Sert hat errichten lassen: ein Bau, der ganz auf Wünsche und Bedürfnisse Mirós zugeschnitten wurde.
    Der Lichteinfall war genau durchdacht, eine Terrasse im Freien so angeordnet, dass sich die Sonnenstrahlen zunächst auf den Natursteinfliesen brechen mussten, ehe sie ins Atelier hineinschienen. Der Kunstgriff sollte das Licht wärmer machen, die Natursteininnenwand an der Stirnseite des Gebäudes einen ähnlichen Effekt haben. Schmalere Fenster an der Längswand ließen sich nach innen mit Läden wie Schranktüren öffnen und schließen, um die gewünschten Effekte zu erzielen.
    »Ich durfte ihm dort mal beim Radieren zuschauen«, erinnert sich Mirós Galerist Josep Pinya, der im Zentrum von Palma jahrzehntelang die Galerie Pelaires geführt und inzwischen an seinen Sohn übergeben hat: »Es war ein Kraftausbruch, als er begann. Als ob der ganze Körper im Einsatz gewesen wäre, um eine Platte zu gravieren. Mit großem Schwung, mit weit ausholenden Bewegungen. Als würde eine Kraft von außen in ihn hineingefahren sein.« Pere Serra hat es so ähnlich erlebt, ihn oft dort besucht, ihm wiederholt beim Zeichnen zugesehen – und den großen, hellen Raum immer wieder verlassen, bevor Miró schließlich zum Pinsel griff: »Ich habe ihn dort in unglaublichem Tempo arbeiten sehen. Um kurz darauf wieder innezuhalten, alles zu betrachten, sich scheinbar zu sammeln – und mit neuem Schwung weiter zu machen. Er hat ›Ha!‹ gerufen, wenn ihm eine Linie besonders gut gelungen schien. Und er hat gestöhnt, wenn er unzufrieden war. Und manchmal hat er Papier mit einer Energie zerknüllt, dass man keinen Laut geben mochte.«
    Beim Malen aber, diesem intimen Schöpfungsakt, durften ihn beide nicht erleben – nicht der enge Freund, schon gar nicht der Händler. Miró wahrte sein Geheimnis, ganz ohne dass er aus diesem Sich-Zieren eine Inszenierung machte. Es ging nicht anders, er brauchte das Alleinsein, um seine Formen zu erfinden, in die andere später Fabelwesen und Monster hineinsahen. Er brauchte es, um Bilder zu entwickeln, die sich wie Gedichte lesen und Stimmungen auslösen sollten. Und er brauchte Stille. Nicht mal Musik lief, während er arbeitete.
    »Miró selbst hat sich dabei zur Überraschung vieler immer als gegenständlichen Maler betrachtet«, so Magdalena Aguiló Victory von der Fundació Pilar i Joan Miró, »während andere ihn zu den Abstrakten gezählt haben. Er war mit dieser Einordnung nie ganz einverstanden.«
    Gleichwohl, diese vermeintliche Gegenständlichkeit scheint gerade im Spätwerk nur für ihn selber sichtbar gewesen zu sein. Was seine Bilder Konkretes wiedergaben, war für andere in den meisten Fällen nicht decodierbar und allenfalls aus Symbolen und Indizien im Ansatz herzuleiten. Miró hat in seinen Werken offenbar klarer zu chiffrieren geglaubt, was die meisten anderen Betrachter erst ergründen müssen – eine Suche, die oft zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führt.
    Kann man Mallorca in diesen Bildern wiederfinden? Pere Serra ist sich da absolut sicher: »Aber ja«, sagt er. Galerist Pinya ist derselben Ansicht: »Aus dem, was er hier auf der Insel sah, was er hier fand – daraus zog er fast dreißig Jahre lang seine Inspiration.« Und auch die ehemalige Stiftungsdirektorin Aguiló Victory hat da keinen Zweifel. »Als Kind«, hat Miró
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