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Lesereise Malediven

Lesereise Malediven

Titel: Lesereise Malediven
Autoren: Stefanie Bisping
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nichts von den siebenhundertfünfzig Handtüchern, die Woche für Woche an Land zu reinigen sind, und der Sechzehn-Stunden-Arbeitstag des schwedischen Küchenchefs ficht uns nicht an. Ihn im Übrigen auch nicht, denn er liebt nicht nur seinen Job, sondern auch seine tägliche einstündige Schnorchelpause. Auch die Crew wird ihrer harten Arbeit zum Trotz vom Hochgefühl des Kreuzens zwischen Himmel und Meer getragen.
    Dass an Bord wie auf den Hotelinseln »Resort Time« gilt, ein künstlicher Begriff für den ganz natürlichen Wunsch, diese Tage mögen länger dauern, ist da nur passend: Um eine Stunde werden die Uhren vorgestellt, damit die leuchtend hellen Nachmittage nicht zu früh in tropischer Nacht versinken. Zeit ist ein willkürlicher Begriff, das lehrt die Inselwelt schnell.
    Im Wasser trennen wir uns von einer weiteren Dimension. Stundenlang könnte man sich auf der planschwarmen Meeresoberfläche treiben lassen, schwerelos, ohne Anstrengung, den Blick nach unten gerichtet. Schwärme blau-gelber Doktorfische ziehen vorbei, bunte Kaiserfische und der lange Trompetenfisch, der aussieht wie eine Tier gewordene gelbe Luftpumpe. Frankie, die Meeresbiologin aus Manchester, deutet zur Seite, wo sich das Riff in unendlicher Tiefe verliert und eine Wasserschildkröte rasch davonpaddelt.
    Frankies Schnorchelexkursionen machen Lust auf mehr Meer, und so finden sich auch die Nicht-Taucher nach theoretischer Unterweisung in Druckausgleich und Zeichensprache unter einer Sauerstoffflasche wieder. So schwer ist die, dass der kurze Weg vom Tauchdeck zum motorisierten Schlauchboot uns fast schon in die Knie zwingt. Sich mit diesem Stein auf den Schultern rücklings ins Wasser fallen zu lassen, scheint zunächst keine gute Idee zu sein. Doch dort ist alles anders, und wider Erwarten ist es gar nicht leicht, zu ersten Brillenspülübungen wie angeordnet im flachen Wasser auf dem Meeresboden Platz zu nehmen.
    Als wir dort auch noch gelernt haben, wie man verloren gegangene Mundstücke einfängt und einsetzt, geht es in Richtung Abgrund. Meter für Meter tasten wir uns nach unten, und die beunruhigenden Gedanken an Taucherkrankheit und sonstige Zwischenfälle unter Wasser verschwinden mit zunehmenden Einsichten. Die Farben sind blasser als auf Schnorchelhöhe, die Einblicke tiefer. Die Brille verwischt Maßstäbe: Seesterne und Muscheln haben Fußballgröße, der Kopf der Muräne, auf die einer der Tauchlehrer aufmerksam macht, sieht so breit aus wie ein Computerbildschirm. Wir lassen uns weiter treiben, bis auf knapp zwölf Meter Tiefe. Von da an geht es langsam nach oben. Nach siebenunddreißig Minuten sind wir wieder im Schlauchboot, wo die Sonne gleißend scheint und der Tauchanzug am Körper festklebt.
    Nach dem Dinner lümmeln wir in der Lounge vor dem breitformatigen Fernseher. Auf dem Bildschirm zieht der Tag an uns vorbei, von Musik untermalt. Es ist Roger, dem schelmischen französischen Tauchlehrer zu verdanken, der mit der Kamera Muränen beschleicht und die Gäste in schicksalhaften Momenten aufnimmt: wenn wir mit der Angel einen schmächtigen Fisch aus dem Wasser ziehen oder beim Wasserskifahren unter einigen Mühen den Körperschwerpunkt über die Meeresoberfläche stemmen. In diesen Augenblicken ist es, als reisten wir absichtlich in dieser Konstellation: das blitzblanke amerikanische Pärchen, das hier das Tauchzertifikat erwirbt, der von Rotwein und Sonnenlicht verfärbte Amerikaner mit seiner japanischen Frau, die beiden lauten Australier, die netten jungen Belgier. Schon hält sich niemand mehr damit auf, hier noch Kabinentüren abzuschließen. Charlie lächelt wohlwollend dazu und erklärt den Kurs des nächsten Tages.
    Bevor die Malediven zum Abziehbild tropischer Urlaubsträume wurden, waren sie der Schrecken aller Seefahrer: ein gewaltiges Gebirge unter der Wasseroberfläche, das den Weg nach Indien versperrte. Nur die höchsten Gipfel ragen aus dem Wasser, sandige Flecken, von Kokospalmen bestanden. Nautische Tücken haben die vierzehn Großatolle noch immer. Die jüngste Karte der Malediven, die bis heute in Gebrauch ist, wurde im Jahr 1834 erstellt, und Stürme wie Strömungen lassen immer mal wieder Inseln verschwinden oder neue entstehen. Der Anspruch der Crew, den Gästen unentdeckte Gefilde der Malediven zu zeigen, führt das Schiff zudem in Gegenden, die auch die Karte nicht genau kennt. Um die »Explorer«, deren Bau und Ausstattung fünf Millionen Dollar gekostet hat, nicht zu gefährden, und
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