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Lesereise Malediven

Lesereise Malediven

Titel: Lesereise Malediven
Autoren: Stefanie Bisping
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Korallenknabbern zu. Irgendwann später müssen wir packen, Trinkgelder disponieren und die Schuhe für die Abreise aus dem Schrank holen. Und nachdenken. Natürlich ist es überhaupt kein Problem, eine Woche auf einer Insel zu verbringen, die man zu Fuß in einer knappen halben Stunde umrunden kann. Schwierig ist eigentlich nur, sich nach einer Woche wieder loszureißen.

Doppelleben im Inselreich
Hinter der Fototapete geht es weiter: Wie sich eine Nation eine zweite Identität zulegte, um sie selbst zu bleiben – und dennoch in einen Zeitbeschleuniger geriet
    Die Malediven gibt es zweimal. Mindestens. Einmal über und einmal unter Wasser. Einmal als echtes Land, das Botschaften und Konsulate in der Welt verteilt und Mitglied der Vereinten Nationen sowie mehr als sechzig weiterer internationaler Organisationen ist. Ein Land, in dem gerade mal dreihundertfünfundneunzigtausend Menschen leben, auf bescheidenen dreihundert Quadratkilometern Land (und hundertfünfzehntausend Quadratkilometern Wasser). Ein Land, das die Vereinten Nationen bis zum 20. Dezember 2004 zu den ärmsten Staaten der Welt zählte. Dann wurden die Malediven von der Liste gestrichen – weil sie, dem Tourismus sei Dank, einen großen Teil ihrer Auslandsschulden getilgt hatten.
    Und dann gibt es die Malediven noch einmal als begehbare Fototapete: auf den knapp über hundert Resort-Inseln, wo die Urlauber leben. In meist luxuriösen Strandbungalows und Wasservillen, mit glasklarem Wasser zum Planschen und weichem Sand für die viel zu lange schon eingesperrten Füße, fühlen sie sich keine zwei Meter über dem Meeresspiegel dem Himmel sehr nahe.
    In dieser Fototapete fließen außer Milch und Honig gegen Aufpreis auch Champagner und Wein. Würzige Currys und exotische Früchte verstärken den Eindruck, in einem Tropenparadies gelandet zu sein. Das Ganze ist zu gut, um anzudauern, weshalb eine Verlängerung dieses Ausnahmezustands nur unter bürokratischen Mühen möglich ist. Sie muss in der Hauptstadt beantragt und von einem Resort befürwortet werden. Für alle, die diese Mühe nicht auf sich nehmen können oder wollen, ist das Leben in der Fototapete spätestens nach einem Monat vorbei. Dann ist das Touristenvisum abgelaufen.
    Mit dem Leben der Malediver hat all das nur sehr wenig zu tun. Knapp die Hälfte von ihnen ist in der Hauptstadt Mal é zu Hause, die andere Hälfte in kleinen dörflichen Gemeinschaften auf entlegenen Inseln. Auch diese beiden Lebensentwürfe könnten unterschiedlicher kaum sein: Die einen leben in einer der am dichtesten besiedelten Städte der Welt zwischen Häuserschluchten, die anderen verbringen in Familienverbänden und über Jahrzehnte gewachsenen sozialen Bindungen jeden Tag ihres Lebens in derselben Handvoll Straßen zwischen zwei Stränden. Dass diese traditionelle Dorfgemeinschaft überhaupt noch existiert, ist zumindest zum Teil der Politik der Trennung von Tourismus und wahrem Leben geschuldet.
    Maumoon Abdul Gayoom, der im November 1978 im Alter von einundvierzig Jahren Präsident der Malediven wurde, hatte seinen Inseln einerseits den Weg ins Geschäft mit den Postkartenträumen geebnet, andererseits aber eine strikte Trennung beider Welten verfügt. Die ersten Besucher kamen indessen bereits vor Beginn seiner Amtszeit, die sich befremdlich lang bis ins nächste Jahrtausend erstrecken sollte.
    Im Oktober 1972 eröffnete das erste Resort der Malediven im Nord-Mal é -Atoll. Im Lauf der siebziger Jahre kam jedes Jahr nur eine Handvoll neuer Resorts dazu. Dann ging die Erschließung zügiger voran. Heute ist der Tourismus der wichtigste Wirtschaftsfaktor des Landes, doch unterliegt er einem umfassenden Regelwerk.
    Ganz wichtig dabei: Die Hotel-Insel muss von Einheimischen unbewohnt sein. So hatte es einstmals der Diktator verfügt. Ausnahmen waren dabei seit jeher Mal é und die ganz im Süden gelegene Insel Gan, wo Ausländer – im ersten Fall vor allem Geschäftsreisende, im zweiten Leute, die mit den britischen Streitkräften zu tun hatten – schon seit Langem nächtigen dürfen. Fährverbindungen zu bewohnten Inseln existierten bis vor Kurzem überhaupt nicht (und entstehen auch jetzt erst langsam). Ein Urlauber hätte unter diesen Umständen schon ziemlich neugierig sein müssen, wenn er nötigenfalls auch geschwommen wäre, um zu erfahren, wie die Menschen auf der nächsten Insel hinter der Fototapete leben. Einzige Alternative waren organisierte Ausflüge zu ausgewählten bewohnten Inseln, die
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