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Lesereise - Israel

Lesereise - Israel

Titel: Lesereise - Israel
Autoren: Gil Yaron
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zu dürfen.«
    In monatelanger Sisyphosarbeit durchsiebten Bach und seine Truppe Tausende Dokumente, um die Anklage vorzubereiten. Tagtäglich mit dem Mord an Hunderttausenden beschäftigt, suchte Bach nach einem Hoffnungsschimmer – Fälle, in denen Eichmann Milde hatte walten lassen: »Ich habe so sehr danach gesucht, aber kein einziges Beispiel gefunden.« Da war der jüdische Physikprofessor in Paris, der Patente für die neue Radartechnologie besaß. »Ein General der Wehrmacht bat darum, Professor Weiß noch nicht zu deportieren, weil sein Wissen wichtig für die Kriegsanstrengungen der Wehrmacht war. Ich dachte, jetzt habe ich es! Die Antwort Eichmanns lautete jedoch: ›Aus prinzipiellen Erwägungen kann ich unmöglich einwilligen.‹ Der General hat danach wütend angerufen: ›Wie wagen Sie es, meine Instruktionen nicht zu befolgen? Ich bin General der Wehrmacht!‹ Worauf Eichmann antwortete: ›Und ich bin Obersturmbannführer der SS , Ihr militärischer Rang interessiert mich nicht … Ich sehe keinen Grund, die Deportation auch nur um einen Tag zu verschieben‹«, zitiert Bach die Prozessakten aus dem Gedächtnis.
    Hinter Bach erinnert eine Porträtaufnahme in Schwarz-Weiß an einen der schwersten Augenblicke des Prozesses. »Sie wurde kurz nach der Aussage eines Mannes aufgenommen, der die Gaskammern überlebt hatte«, sagt Bach. Der Zeuge war einer der wenigen, die lebend eine Gaskammer verlassen hatten. »Er war noch ein Kind gewesen. Die Gaskammer wurde abgeschlossen, es war dunkel. Die Kinder haben gesungen, um sich Mut zu machen. Als nichts geschah, fingen die Kinder an zu weinen. Auf einmal öffnete sich die Tür. Ein Zug mit Kartoffeln war angekommen und die SS hatte nicht genug Leute, um ihn zu entladen. Da haben sie zwanzig Kinder neben der Tür herausgeholt um ihn zu entladen.« Später beschuldigte ein Offizier das Kind, ein Fahrzeug durch seine Nachlässigkeit beschädigt zu haben, und gab die Anweisung, den Jungen erst auszupeitschen, bevor er vergast werden sollte. »Der SS -Mann, der das durchführen musste, hat den Jungen als Laufbursche bei sich behalten. Das hat ihm das Leben gerettet«, sagt Bach. »Es gab viele grausame Sachen im Eichmann-Prozess, aber das war selbst für uns zu hart und wir mussten fünfzehn Minuten Pause einlegen.«
    Bachs Vorgesetzter, Generalstaatsanwalt Gideon Hausner, war sich der historischen Bedeutung des Prozesses von Anfang an bewusst: »Dies ist eine Generation ohne Großväter und Großmütter. Sie versteht nicht, was geschehen ist«, schrieb Hausner später. Eichmann sollte nicht bloß überführt werden. Viel wichtiger war es, die Jugend neu zu erziehen. Die Anklage lud hunderteinundzwanzig Zeugen vor, Überlebende aus Lagern und Ghettos, die den Israelis durch die Erzählung ihrer persönlichen Schicksale den Schrecken, aber auch ihren alltäglichen Mut näherbrachten. Gebannt saß ganz Israel täglich vor den Radios und lauschte den Übertragungen aus dem Gerichtssaal.
    Die Zeugenaussagen hatten eine tief greifende Wirkung auf den Staat der Juden, in dem die Schrecken der Schoah bislang totgeschwiegen worden waren. »Viele Israelis wollten nichts vom Holocaust wissen, andere schämten sich dafür, Opfer des Holocaust gewesen zu sein«, sagt Bach. Im Land der Opfer war die Schoah tabu. Dem machte der Prozess ein Ende. »Wir waren bemüht, den Menschen zu zeigen, dass es keinen Grund gab, sich für die Schoah zu schämen«, sagt Bach. »Im Gegenteil, man konnte stolz sein. Juden fügten sich, solange sie nicht wussten, wie aussichtslos ihre Lage war. Die Nazis täuschten ihre Opfer mit fast wissenschaftlichen Methoden, und niemand glaubte daran, dass alle getötet werden würden. Doch sobald sie erkannten, dass man sie nur ermorden wollte, erhoben und wehrten sie sich, wie im Ghetto von Warschau.« Der Bewusstseinswandel vollzog sich in Bachs engster Umgebung. Monatelang arbeitete er mit seinem Team von Polizisten zusammen: »Für jedes Land in Europa war ein Offizier zuständig, der mir die relevanten Dokumente zur Auswahl vorlegte.« Polen verweigerte Israel damals die Zusammenarbeit. Trotzdem erreichte Bach eines Tages die Abschrift eines Dokuments, das die Anlieferung von Juden in Auschwitz dokumentierte. Die SS hatte feinsäuberlich die Daten festgehalten, an denen den Häftlingen ihre Nummer eintätowiert worden war. Bach stand vor einem Dilemma: »Das Dokument hatte keinen Stempel, wir konnten nicht beweisen, dass es echt war. Also schlug ich
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