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Lesereise Backsteinstaedte

Lesereise Backsteinstaedte

Titel: Lesereise Backsteinstaedte
Autoren: Kristine Soden
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ihrer Bewohner aus. Viele der Häuser versanken Palmarum 1942 unter den britischen Bomben im Nichts, das Quartier der Patrizier aus der Ära der Hanse wurde komplett ausradiert. Das mittelalterliche Straßenraster mit seiner Blockrandbebauung, wie es unter Kunsthistorikern heißt, blieb von dem Angriff erstaunlich unberührt. Als Gesamtensemble wurde die Lübecker Altstadt 1987 zum Weltkulturerbe erklärt – ein erfreuliches Prädikat, jedoch lässt es mehr und mehr vergessen, dass man den historischen Stadtplan, ein viel gerühmtes Denkmal der Hanse, beim Wiederaufbau gründlich missachtete und den gebrannten Größen von einst anmaßend banalen Beton vor die Nase geknallt hat.
    Zurück zu Wilhelm Castelli. Ihn erkannte man damals in der Stadt an seinem schwarzen Tuch, unter dem er sich als Lichtschutz beim Fotografieren verkroch, ebenso an seinen ungewöhnlichen Sichtweisen, die er bei der Motivauswahl einnahm. Ähnlich wie in der mittelalterlichen Fabelwelt der Lübecker Kirchen, spürte er auch draußen auf der Straße dem Verborgenen nach, verzichtete er auf überbetonte Beschönigungen oder einen künstlich geschaffenen optischen Effekt. Inspiriert von der Neuen Sachlichkeit zeigte er an Fassaden und Giebeln die klaren geometrischen Strukturen zum Beispiel der spitzbogigen Doppelluken, kunstvollen Fugen, Türlaibungen, Blendmustern oder der bis ins Erdgeschoss hinunterreichenden hohen Dielenfenster in den ehrwürdigen Lübecker Kaufmannshäusern. Vor allem in der Mengstraße bot sich Castelli dazu reichliches Material, fotografierte er ganze Serien vom Schabbelhaus oder vom heutigen Buddenbrookhaus, wo Thomas Manns Großmutter einst residiert hat. »Man saß im ›Landschaftszimmer‹ im ersten Stockwerk«, hören wir den Literaturnobelpreisträger erzählen, »die starken und elastischen Tapeten, die von den Mauern durch einen leeren Raum getrennt waren, zeigten umfangreiche Landschaften, zartfarbig wie der dünne Teppich, der den Fußboden bedeckte – Idylle …«
    Und während wir Castellis Fotos weiter durchblättern, die er im Postkartenformat in der von seinem Vater geerbten Lübecker Drogerie in Zehnerpacks verkaufte (mit Glück kann man sie noch hier und da in Lübecker Antiquariaten erstehen!), sind Stimmen auch von Diplomaten, Gesandten, Gelehrten, die zu allen Epochen nach Lübeck gereist waren, zu hören. Lübecker trügen »dick gehäkelte Halskrausen«, amüsierte sich etwa ein Franzose, sie wandelten bedächtig und bewegten ihre Häupter kaum, da diese in eben jenem »Halsputz« versenkt seien. Ein Engländer entdeckte in der von Ratsherren »aristokratisch regierten« Stadt etliche Bürgerhäuser mit – very nice! – Londoner Tischen, Schränken und Stühlen »von Mahagoniholz aufgeputzt«. Einen Schweden beeindruckte in St. Marien die Astronomische Uhr. Jedes Mal, wenn sie zwölf schlägt, schrieb er in seinem Tagebuch, kommen zwölf Bilder gleichsam von selbst aus der Altartafel hervor. Dass man in Lübeck noch spätabends ohne Laterne auf der Straße sein darf, deutete ein Notar als Hinweis auf eine »wahrscheinlich ungezwungene« Lebensart. Staunen musste ein Reisejournalist am weiträumigen Markt, werde dieser doch von einer »ungeheuren Steinmasse« aus Rathaus, Börse und Waage eingefasst! Hinter den Rathausarkaden sah er in offen stehenden Eingängen mancher Bürgerhäuser, die »sehr viel Heiteres« hätten, spiegelblank geputzte Marmorböden. Und von den Patrizierkaufmannshäusern zeichnete er reich geschmückte Portale des Barock, der Renaissance und des Rokoko in sein Skizzenbuch. Verwundert reagierte ein anderer auf die Lübecker Dielen, »gepökelte Schweine und getrocknete Fische« würden da von der Decke herabhängen, »Schüsseln und Schalen und sonstige Speisebehälter« auf dem Boden stehen! Lübecks besondere geografische Lage am Wasser hoben nautisch Ambitionierte hervor. Es schenke der Stadt einen ganz außergewöhnlichen Umriss, so meinte ein Hamburger, und gebe ihr die Verlockung über sich selbst hinaus. Vom Blick der Möwen aus kreuzen sich über der Hansestadt drei Achsen mit nahezu geometrischer Genauigkeit, erklärte ein Kartograf, die eine verbindet Oslo mit Nürnberg, die andere Stockholm mit Köln, die dritte St. Petersburg mit Antwerpen. Schiffe »von mäßiger Ladung« fuhren auf der Untertrave bis dicht in die Stadt, teilte ein Fernhändler mit, für alle größeren war Travemünde der Ankerplatz.
    Das Haus der Schiffergesellschaft von 1535, so verraten an
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