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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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spricht, eine letzte handgearbeitete Originalschatulle erstanden. Genau das passende Geschenk für Alf.«
    Als T. E. Lawrence nach seiner Zeit als »Lawrence von Arabien« nach England zurückkehrte, wurde er gefragt, was er am meisten vermisse. Und Lawrence: »Die Freundschaft, die Gastfreundschaft.«
    Im Osten von Kairo liegt Qarafat el Migawirin, die Totenstadt. Ausländern ist der Zutritt offiziell verboten, aber mit Abed, der einen Schleichweg weiß, und mithilfe eines Burnus, den er mir drüberzieht, falle ich nicht auf. Alte, verkommene Gräber. Kleine Kuppelhäuser mit Vorplatz, die Tür verschlossen. Auf ewig verlassen. Wenige werden regelmäßig besucht. Wir sehen eine Mutter mit Kindern auf dem Steinboden sitzen. Der Vater starb vor Jahren, seit Jahren kommen sie jede Woche. Neben den beiden ein »Koransprecher«, einer, der das Buch auswendig weiß und jetzt – gegen Entgelt – die entsprechenden Suren vorbetet.
    Abed ist Student, er ist zum ersten Mal hier, wir verlaufen uns. Wir stoßen auf eine fünfköpfige Familie, die eine Kuppel beschlagnahmt hat. Sie hausen zwischen den Leichen, weil unter den Lebenden kein Platz mehr ist. Grab, Küche und Schlafzimmer auf zwölf Quadratmetern. Der rauchende Vater, seine Frau, die Tee für uns kocht. Ergreifend der Anblick der achtzehnjährigen Tochter. Ein bildschöner Mensch, ein Gesicht zum Anstarren. Ob ihr je jemand gesagt hat, wie schön sie ist? Scheu und ernst antwortet sie auf jede Frage. Man spürt ihre Intelligenz. Sie kann nicht lesen und schreiben, hat keine Schule besucht. Der Vater lässt sie nicht weg, aus Angst, sie könnte dem falschen Mann begegnen. Mona wehrt sich nicht gegen ihr Leben zwischen den Toten. Der Vater entscheidet, so ist es. Mona heißt die »Hoffnung«.
    Ihre Adresse in der Totenstadt verfügt über einen einzigartigen Vorteil: Sie ist leise. Der Rest des Fünfzehn-Millionen-Kessels, da, wo die Lebenden wohnen, tost wie eine der Vorhöllen Dantes. Als wir zurückkommen, wirkt der Kontrast umso archaischer. Schweißgebadete Kulis und füßeküssende Krüppel. Fliegende Kammerjäger und souverän simulierende Lahme. Teegläser balancierende Kinder und Scharen siebzehnjähriger Arbeitsloser. Luftdicht verpackte Frauen und heisere Straßenprediger. Lautsprecherbewaffnete Muezzine und die Fanfaren preschender Taxis. Ein Häuflein lebensmüder Radfahrer und die Hechtsprünge heroischer Fußgänger, die auf die andere Seite wetzen.
    Eine Busfahrt stimmt ein. Der Schaffner muss die Hintertür zwangsverriegeln, um die bereits Anwesenden vor dem Erstickungstod zu bewahren. Doch die Situation verschärft sich noch einmal, als ein Halbwüchsiger im Schutze der Raumnot nach dem außerehelichen Hintern einer Frau greift, die dem Nebenmann gehört. Fäuste fliegen, Eskalation, Fluchtbewegungen, ein anderer Hintern – riesig und bisher unberührt – schleudert in die falsche Richtung und landet auf mir und meinem Sitznachbarn. Ich sitze und gurgle. Und fasse ihn an. Aus Notwehr.
    Wie wohltuend, dass hinterher ein Besuch im El Sultan ansteht. Das türkische Bad hat die Ausmaße einer großzügig angelegten Katakombe. Durch die winzigen Öffnungen im Plafond fallen die Strahlen der Sonne. Eine Katze schläft, Wasser plätschert, ich steige in eine der heißen Wannen. Hinterher greift Amir ein. Erster Masseur im Haus, nebenbei Gliedermelker, Halswirbeleinrenker und Rückgratverkrümmungsreparierer. Er walkt mich tot. Und lässt mich in Tücher gerollt liegen. Der fertige Leib. Amir benimmt sich wie diese Stadt, zuerst Qualen, dann Wohlgefallen. Von fern noch höre ich das Flüstern zärtlicher Männer. Baden, lieben, massieren, ruhen, so sinnliche Zustände verspricht ein hammam .
    Draußen vor der Tür wartet Rashid. Eben auf einen, der gerade des Wegs kommt. Diesmal trifft es mich. Rashid, der Nichtstuer, der Überreder, der begnadet eloquente Faulpelz, der als Beruf »Designer« erfindet. Sein Mund zuckt, die Nase zuckt. Er verspricht sofort, dass er »absolutely no money« will. Und tatsächlich, er lädt mich zu einer Limonade ein. Später fällt ihm ein, dass er doch Geld will. Er habe zu viel gedacht heute, er müsse sich nun entspannen und brauche etwas zum Rauchen. Ich reagiere fantasielos und mache ihn auf den Widerspruch aufmerksam. Zuerst absolutely no money und jetzt doch money. Wie europäisch ich funktioniere. Und hilflos. Rashid hält für jeden Engpass zehn Ausreden bereit. Natürlich weiß er selbst nicht mehr, wo seine
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