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Lenke meine Fuesse Herr

Lenke meine Fuesse Herr

Titel: Lenke meine Fuesse Herr
Autoren: Christian Wittenberg
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die Wolken — Herrgott, ist deine Welt schön!
    Bald geht’s in die Hügel: Meine Bergkondition ist hundsmiserabel! Ich keuche die kleinen Steigungen hinauf wie ein Asthmatiker. Oben herrlicher Wald, frisches Buchengrün säumt den Weg. Am Angelberg vor Tussenhausen amüsiert mich der „Dorfdrache“ und freut mich der wunderschöne Blick über das Wertachtal. Endlos durch den Ort, dann über Feldwege der guten Markierung nach. Zwei Jugendliche auf Fahrrädern fragen mich grinsend, ob ich zur 6. Armee nach Stalingrad wolle, und ich meine, eigentlich will ich in die andere Richtung, und nicht ganz so weit...
    Rast am Waldrand, Rucksack umpacken: Er ist völlig unausgewogen. Die Stiefel tausche ich gegen die Sandalen aus — da sind meine Füße froh! Jetzt geht es besser. Ein Spaziergänger versucht, mir das Lokal bei St. Anna schmackhaft zu machen mit gutem Bier und Essen, doch ich gehe weiter geradeaus nach Helmenegg. Ab hier laufe ich auf Teer. Im Ort gibt es keinen Gasthof, in Mindelau auch nicht, doch man schickt mich dort zur „Jägersruh“, etwa 800 m den Berg hinauf Richtung Bad Wörishofen.
    Der Himmel hat sich drohend bewölkt, hält aber trocken. Ich komme in den Gasthof, frage nach einem Zimmer und hinter mir fängt es an, wie aus Eimern zu schütten! Ich nehme das Zimmer, auch wenn es 35,00 € kosten soll. Dusche, Muskeln und Füße einschmieren, runter, zwei Weizen trinken zum Essen, schreiben. Es ist acht Uhr: zahlen und schlafen!

Mittwoch, 4. Mai 2005
Mindelau – Ottobeuren 28 km

    Ich habe miserabel geschlafen — von zwei bis vier ferngesehen — und bin um sechs Uhr auf. Der Wirt fordert mich auf, Vorräte einzupacken — ich mache mir eine Semmel mit viel Schinken — und macht mir Tee in meiner Aluflasche. Dann gibt er mir 5,00 € „Pilgerrabatt“ und verabschiedet mich herzlich.
    Über Feldwege und vom Nachtregen nasse Wiesen komme ich mit Hilfe von Karte und Kompass nach Dirlewang. Dort führt ein Wegweiser nach Eppisried, wo mir eine freundliche Hundeausführerin rät, über Müssenhausen zu gehen — da wäre es kürzer nach Ottobeuren. Der Anstieg in Kreutberg ist steil und ich komme bei meiner schlechten Kondition ganz schön ins Schnaufen! Am Ortsausgang mache ich kurz Rast, doch kaum bin ich ein paar Schritte weiter, kommt eine Regenbö. Mühsam werfe ich den Poncho über; der Regen hört bald auf, doch ich habe Schutz vor dem scheußlichen Wind. In Müssenhausen eine Markierung: „Pilgerweg“ — der kann eigentlich nur nach Ottobeuren führen! Auch der „Kneipp-Wanderweg“ führt, wie ich weiß, durch Ottobeuren — da bin ich sicher richtig! Ich komme hinab zur Hammerschmiede, im kärglichen Windschutz eines Holzstoßes mache ich Rast und wechsle die Schuhe.
    Hinter Frechenrieden geht es steil hinauf nach Krautenberg. Auf der Bank vor dem Haus der Familie Reich ruhe ich mich aus. Steil hinab, bei beißendem Wind, der mich über die Handschuhe froh sein lässt, eben so steil wieder hinauf — und dann grüßt mich bei Langenberg die „Buschkapelle“, die das Günztal bewacht und auch die Basilika von Ottobeuren taucht auf. Dahinter aber finsterste Wolken! Als ich Halbersberg erreiche, fängt es an zu schütten, und wie! Im Sturmschritt rette ich mich unter das Vordach einer Scheune, finde notdürftig Schutz, ein netter kleiner schwarzer Hund leistet mir Gesellschaft. Als die wütenden Regenböen nachlassen, mache ich mich auf, stiefle hinab nach Ottobeuren und schnurstracks in die Basilika.

    Die Kirche ist voll — ich komme rein und von der Empore singt ein wunderbarer Sopran „So nimm denn meine Hände“ — da fange ich an zu heulen und schäme mich nicht deswegen. Ich stelle Rucksack und Stöcke an einen Pfeiler, setze mich in eine Bank und möchte die Gemeindeantworten der Messe mitsprechen, doch meine Stimme versagt. So bleibe ich einfach sitzen und höre mir die Leichenpredigt für eine mir unbekannte Frau an: der Auferstandene als das Wunder der Erlösung. Passt irgendwie in das, was mich seit Wochen bewegt. Beim Vaterunser ist meine Stimme wieder da. Noch einmal singt der Sopran zur Orgel: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ — herrlich!
    Das Kirchenschiff leert sich, ich kaufe eine Postkarte (ich schicke sie später an Pfarrer Danner und bedanke mich für die Abschiedsandacht) und einen Kirchenführer und suche jemanden, der mir den Pilgerpass abstempelt. Ich lande bei einem netten Mann an der Klosterpforte. In der Abtei sei heute leider kein Platz
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