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Leben im Buero

Leben im Buero

Titel: Leben im Buero
Autoren: Christoph Bartmann
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und, anders als heute, sehr viel telefoniert. Wie mühsam muss es gewesen sein, eine Sitzung einzuberufen – vielleicht hat man auch deshalb auf diese Möglichkeit gern einmal verzichtet. Es gab mehr sogenannte »Face to face«-Kommunikation, die man damals aber noch nicht Kommunikation nannte. Es war normal, dass man Papiere von Hand über den Gang zum Kollegen trug und sich dabei irgendwie begegnete. Die neuen Technologien haben uns all das abgenommen, sie sind Erleichterer oder, schöner auf Englisch, »facilitators« , unseres Alltags. Dabei erzeugen sie erst den Verkehr, für dessen Bewältigung sie uns Abhilfe versprechen. Ohne Outlook gäbe es das ganztägige Ereignis gewiss gar nicht, das mir ein Besprechungsorganisator in den Terminkalender gestellt hat. Nicht dass hier irgendwer autoritär über meine Zeit verfügen wollte: es gibt Anfragen, die ich ablehnen kann, und Termine, die ich verschieben kann. Wie immerfort im Büro, erlebe ich mich als Täter und Opfer zugleich: jemand will freundlich über mich verfügen und ich verfüge meinerseits freundlich über die anderen. Büro ist, wenn jeder jedem ein ganztägiges oder sonst ein Ereignis in den Kalender stellen kann, das abgelehnt oder verschoben werden kann, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit dann doch stattfinden wird. Insofern ist Outlook nichthierarchisch. Was deshalb fehlt, ist die urteilende Instanz, die sinnlose Termine von möglicherweise sinnvollen unterscheidet und damit also die Arbeitszeit und die Arbeitskraft vor unqualifizierten Zugriffen schützt.
    Vielleicht kommt es aber auch gar nicht so sehr darauf an, die Mitarbeiter vor dem Sitzungswesen zu schützen, als vielmehr, das Sitzungswesen vor den Mitarbeitern zu schützen. Jede Maßnahme zur Innovation des Sitzungswesens führt, wie wir wissen, zu neuen Sitzungen, die dann möglicherweise im Stehen stattfinden (was sie angeblich verkürzt) oder in einem jener neuen Formate abgehalten werden, die uns die Coaches und Trainer immer empfehlen. Jede dieser Maßnahmen zielt freilich darauf ab, das Sitzungswesen zu erhalten, weil es den tieferen Daseinsgrund der Bürowelt darstellt. Allein der Umstand, dass wir uns hier und heute in Sitzungen begegnen werden, rechtfertigt ja den Aufwand an Teppichböden, Heiz- oder Mietkosten. Wir sind ja keine Fabrik, in der Maschinen stehen, die nur hier bedient werden können und mit denen wir Produkte erzeugen. Wir sind auch keine Sendeanstalt, die ein Programm über Antennen an die Empfänger bringt. Und wir sind auch kein Gericht, in dem der Raum die Wirkung des Gesetzes symbolisch beglaubigt. Wir sind postmaterielle Wissensarbeiter, ortlos und zeitversetzt, die überall und nirgendwo gebraucht werden und die eigentlich gar kein Zuhause bräuchten, weil sie ihr virtuelles Gehäuse ohnehin immer auf dem Rücken tragen, und die bei der Vorstellung, noch immer ein Mutterhaus zu haben, eher nostalgische, also angenehme Gefühle beschleichen.
    Die Sitzung also ist der wahre Grund meines Hier- und Daseins, dabei habe ich aber auch sonst viel zu tun. Ich muss und werde heute: Formatierungen beachten, Deadlines einhalten, Instrumente bedienen, an der Performance arbeiten, Geschichten erzählen, die meinen PublicValue unterstreichen, ich werde Strategien entwickeln und umsetzen, und ich werde Ziele erreichen, die sich anhand von Indikatoren werden messen lassen. All das Letztere muss ich aber außerhalb der vielen Besprechungen und Sitzungen bewerkstelligen, so dass ich letztlich nur die Alternative habe, die eine oder andere Sitzung zu schwänzen oder sie wenigstens abzukürzen oder aber meine Arbeitszeit tief in die sitzungsfreie Zeit, also in die Abendstunden hinein auszudehnen.
    Jeder weiß, dass das Langebleiben und Als-Letzter-Gehen noch immer Eindruck macht, wenngleich die Telekommunikation diese Form der Leistungspräsentation durch Sitzenbleiben schon stark entkräftet hat. Wer weiß denn, ob ich arbeite, wenn ich im Büro sitze? Wer weiß, ob ich nicht arbeite, wenn ich nicht im Büro sitze? Wer versendet nicht seine wichtigsten Schriftsätze gern erst gegen 22 Uhr, wenn die Ansprüche der Familie abgegolten scheinen und die Arbeit ungeniert weitergehen kann? Einfach schon, weil es dringlicher und fleißiger wirkt. Das Langebleiben und das Spätgehen sind in der Krise, wie überhaupt die schiere Präsenz am Arbeitsplatz den Gipfel
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