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Leben im Buero

Leben im Buero

Titel: Leben im Buero
Autoren: Christoph Bartmann
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wende ich mich den Mitteilungen zu, die mich tatsächlich zu einer Reaktion nötigen. Ich sehe, dass mir wie üblich die eine oder andere Deadline gesetzt wurde, von Menschen, die sich dazu für befugt halten (»bis morgen, 12 Uhr«), was in der Regel dazu führt, dass ich wiederum anderen Menschen eine Deadline setze (»bis morgen, 11 Uhr). Ich sehe, dass manche Mailschreiber von mir etwas wollen, das andere besser tun können – oder sie können es ebenso gut wie ich, sind aber aus Hierarchiegründen zur Abnahme meiner Arbeit angehalten, so wie ich meinen Oberen die Arbeit abnehme. Suche und finde, so könnte die Parole heißen, diejenige Ebene (man nennt sie die Arbeitsebene), die deine Arbeit ohne Qualitätsverlust, oder sogar mit Qualitätsgewinn, übernehmen kann; sollte dies nicht zu erwarten sein, bist du gut beraten, deine Arbeit selbst zu tun. Es gibt Menschen, die es lieben, mitzulesen und mitlesen zu lassen, und andere, die es hassen. Es gibt Menschen, die ihre Mails vor allem für die Augen derjenigen schreiben, die sie mitlesen lassen. Und dann gibt es noch Menschen, die mit versteckten »cc.s« operieren und damit eine ganz neue Art von Briefgeheimnis in unsere Bürowelt tragen. Manche Kollegen toben sich auf der Betreffzeile schon mit Kurzfassungen des Mail-Inhalts aus, andere ergehen sich in Andeutungen. Die Vollprofis kündigen »Antworten im Text« an, die man dann erst einmal als solche erkennen muss. Jedenfalls eröffnet die Welt der E-Mail völlig neue Dimensionen der sonst als bedroht geltenden Schriftkultur, und wie jede neue Technologie fügt sie der Schriftlichkeit neue Varianten hinzu und opfert dafür andere. Gern bestätigen wir uns, wie gern wir mit einem teuren Tintenfüller handgeschriebene Briefe bekommen und sogar selbst verfassen (würden) – wir tun es nur selten oder nie, weil uns das Mailen längst in Fleisch und Blut übergegangen ist, mit seiner Umstandslosigkeit und seiner Rasanz. Manchmal sind wir zu rasant und senden Mails ab, die besser nicht abgesendet worden wären. Dann starten wir im Anschluss eine Rückrufaktion, nach der wirklich jeder verstanden hat, dass hier ein Malheur geschehen ist, das man sich mal etwas genauer anschauen sollte. Jede nicht geschriebene Mail sei eine gute Mail, sagt gelegentlich ein kluger Coach, aber ach, er weiß nicht oder will nicht wissen, dass wir im Büro zu Junkies der Mail-Kommunikation geworden sind.
    Aber auch das gibt es: die seriöse, unentbehrliche, wichtige Mail, die nach einer Reaktion verlangt, ja gar nach einer Erledigung, wenn nicht gar einer vorangehenden Entscheidung. Der gute Ton sieht vor, dass bis zur Beantwortung nicht etwa vier Wochen vergehen dürfen (was bei Briefen weniger denn je ein Problem darstellt), sondern eher – sagen wir – 48 Stunden. Mit solchen Mails beginnt erst die richtige Arbeit, bis dahin war alles nur Sichtung, Löschung, qualitatives Ignorieren. Nun wäre es gut, die Zeit zu haben, um sich den derart herausgefilterten Aufgaben und Notwendigkeiten tatsächlich auch zu widmen. Das geht aber nicht, jedenfalls nicht im Büro, weil mir mein Outlook-Kalender ein nahendes Ereignis meldet. Mein Bürotag ist wie jeder andere gefüllt mit Ereignissen, manchmal, »worst case « , mit »ganztägigen Ereignissen«. Wie sagt man im Büro so schön: »Ich habe einen Anschlag auf Sie vor.« Der schlimmstmögliche Anschlag auf mich und meine Arbeitszeit ist ein ganztägig verhängtes Kommunikationsereignis. Ein Workshop zur Organisationslehre etwa. Eine Fortbildung oder sonstige Personalentwicklungsmaßnahmen. Eine Teambildung. Ein Jahresgespräch mit »Nachhaltedialog«. Ein »Zufriedenheitsgespräch« mit mir und anderen. Die Sitzung eines Lenkungsausschusses. Oder auch nur eine Gremiensitzung. Ganz grundsätzlich ist hier zu unterscheiden zwischen Aktivitäten und Meta-Aktivitäten. Meta-Aktivitäten – Ereignisformen also, bei denen die Arbeit weniger erledigt als vielmehr geplant, bewertet, interpretiert und gesteuert wird – nehmen mehr Zeit in Anspruch als die objektgerichteten Aktivitäten, die man anders als die Meta-Aktivitäten tatsächlich erledigen kann.
    Wie anders war das früher? Nur noch dunkel erinnere ich mich an das System der Umlaufmappen, die von Boten durchs Haus getragen wurden. Es gab ein Schreibbüro, es wurde viel diktiert
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