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Leben im Buero

Leben im Buero

Titel: Leben im Buero
Autoren: Christoph Bartmann
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bricht. Sollen doch die anderen Rule Player bleiben, ich werde heute, sage ich mir, ins Büro gehen und alle Regeln brechen (wobei Templar betont, dass das nicht jeden Tag und auch nicht jedes Jahr, sondern eher selten, dann aber richtig, geschehen sollte). Ich werde mir den Respekt meiner verdutzten Vorgesetzten erwerben, indem ich keine ihrer Anweisungen oder Erwartungen erfülle. Natürlich beherrsche ich die Regeln im Schlaf, aber ich weiß, wann und wie ich sie abschüttle und meine Umgebung abrupt mit meinem freien Willen konfrontiere. »Schauen Sie«, schreibt Richard Templar, »am Ende ist alles eine Bauchfrage. Folgen Sie den Regeln, bis sie bei Ihnen zu Instinkten geworden sind, und dann vertrauen Sie Ihren Instinkten.« Und weil das der Satz ist, der alle guten Ratschläge zusammenfasst, steht er noch einmal doppelt eingerahmt und in fünffacher Schriftgröße auf der letzten Seite. Du kannst und du wirst dein Leben ändern, sagt mir dieses Buch, und ich darf nur nicht daran denken, dass es genau jetzt in tausend Vorortzügen von abertausend Berufspendlern auch gelesen wird und in ihnen womöglich die Hoffnung weckt, es würde von heute an alles anders und sie würden, endlich, im Büro »gesehen«, »wahrgenommen«, ja sogar »wertgeschätzt«, oder was sonst sie sich erträumen, nur weil sie, wenn auch erprobte Rule Player, nunmehr ganz »aus dem Bauch heraus« agieren. Aber was soll man machen? »It’s your career«, sagt uns Richard Templar.
    Ist man dann physisch im Büro angekommen, hat man die Kollegen begrüßt, das Teewasser aufgesetzt und den Computer hochgefahren, stellt sich die Lage schon wieder etwas komplizierter dar.
    Die Lage ist ja in etwa noch dieselbe wie gestern Abend, ich schließe an Unerledigtes, Klärungsbedürftiges, Unangenehmes und den ganzen Regelkreis der Üblichkeiten und Voraussetzungen an und weiß gerade nicht, wie ich ausgerechnet heute einen aufsehenerregenden Neuanfang machen sollte. Alles ist Konvention und Fortsetzung, und nirgendwo ist, allem Business-Gospel zum Trotz, ein neuer Morgen in Sicht. Natürlich fängt der Bürotag mit dem Checken der E-Mails an, beziehungsweise die E-Mails sind längst gecheckt, weil wir mit unseren Mobilcomputern längst von unterwegs aus auf sie zugegriffen haben. Trotzdem muss vor allem anderen das Gerät ans Laufen gebracht werden, und wehe, es läuft nicht, weil irgendwas gerade mal wieder über Nacht die Systemarchitektur zum Einsturz gebracht hat. Dann bricht, jeder kennt es, eine echte und tiefe Sinnkrise aus. Merkwürdig, eigentlich könnte man nun ungestört tun, was man nur im Büro kann, nämlich kommunizieren, und zwar im Modus richtiger, physischer Begegnung, aber statt dessen fangen wir an zu nörgeln oder rufen uns zwischen Tür und Angel zu, dass ohne Computer sogleich die komplette Sinnleere ausbricht. Ein Glück, dass sich dann irgendwann doch wieder die Citrix-Landschaft öffnet; wir können also mit dem beginnen, was wir unsere Arbeit nennen. Wie oft habe ich mir vorgenommen, das Gerät gar nicht erst anzuschalten oder meine Mails nur zweimal am Tag zu lesen, oder sie ständig zu lesen, aber nur zweimal am Tag zu beantworten. Wie oft habe ich mir eine bestimmte Diätetik des Outlook-Gebrauchs vorgenommen, allein es hat nie funktioniert. Also bleibt alles vorerst beim Alten, das heißt, ich schaue mir meine Mails an.
    Nicht dass über Nacht Nachschub in großer Menge eingelangt wäre. Aber es sind ja noch die Mails vom Vortag da, die zwar gelesen, aber doch nicht regelrecht abgearbeitet (vom Beantworten hier ganz zu schweigen) worden sind. Zunächst einmal sind diejenigen Mails zu identifizieren, die tatsächlich bei mir Handlungen auslösen sollen, Handlungen, die in der Regel wiederum Mails sind. Dazu gehören nicht die Junk-Mails zweifelhaften Inhalts, die mich ohnehin nicht mehr erreichen, weil mich ein Firewall vor ihnen schützt, dazu gehören auch nicht die tausend Newsletter, Listen-Mails und sonstigen Mitteilungen, bei denen ich nur Mitleser bin. Auch Mails, bei denen ich nur »ins cc. genommen« wurde, ziehen keine weitere Anstrengung nach sich, wenn ich mich an die Etikette halte, die besagt, dass man in diesen Fällen auf eine eigene Antwort verzichten soll. Wenn alle diese Anschläge auf meine frühmorgendliche Leistungsfreude erfolgreich ignoriert sind,
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