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Leben im Buero

Leben im Buero

Titel: Leben im Buero
Autoren: Christoph Bartmann
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Bedingungen ganz anders, weshalb auch die sogenannte Zeiterfassung nicht so sehr die Arbeitszeit erfasst, als vielmehr die aktuelle Position angestellter Körper im Raum ortet. Wie auch immer: ich mache manchmal Telearbeit, aber meistens – wenn nicht gerade Dienstreisen anstehen – bin ich im Büro, im Innendienst sozusagen. Und das, wie gesagt, nicht ungern. Das Unbehagen im Büro drückt sich an mir nicht als körperliches Unwohlsein aus. Ich habe keine besonderen psychosomatischen Symptome, mich quält auch nicht die Angst vor dem großen Versagen. Nicht vor dem Versagen habe ich Angst, sondern eher vor dem Entsprechen. Diese Art Angst ist keine vor Personen, sondern eine vor der neuen Technokratie aus Instrumenten, Prozessen, Standards und Routinen. Es ist die Angst, ein Manager zu werden oder schon längst geworden zu sein, ohne dass wir den Schwund unserer kritischen Kapazitäten überhaupt richtig bemerkt hätten.
    Manchmal vertreibe ich mir die Zeit auf der Anfahrt ins Büro mit einschlägigen Lektüren. Es gibt eine unüberschaubare Literatur, die mich berät, wie ich das Leben im Büro meistern, wie ich es so gestalten kann, dass ich hier und heute »den Unterschied mache« und nicht etwa ein anderer. Die meisten dieser Bücher kommen aus England und Amerika und verbreiten einen Hauch von religiöser Erbauungs- und Erweckungsliteratur. Auch ich war mal ein Büro-Mitläufer, erzählen sie uns, jetzt bin ich ein Linchpin, das soll heißen: die Dreh- und Angelperson, wenigstens auf meinem Flur. Eines dieser Bücher, das äußerlich ein bisschen an eine Hotelbibel erinnert und das man in jeder Flughafenbuchhandlung bekommt, heißt im englischen Original The Rules of Work. A definitive code for personal sucess . 1 Wie der Autor heißt, erfährt man erst auf der nächsten Seite, aber dann gleich mit eigenhändiger Unterschrift, denn »Diese Regeln sind mein Geschenk für Dich. Sie gehören Dir. Bewahre sie gut auf, halte sie geheim! Richard Templar«. Dieses Buch ist also ein persönlicher Brief an mich, geschrieben von einer guten Arbeitsfee, die mir und nur mir den Weg zum Erfolg ebnen will. Nicht für alle Büroangestellten, die der Erlösung harren, hat also Richard Templar sein Buch geschrieben, sondern exklusiv für mich. Lerne zu gehen, sagt mir der erste Imperativ, gehe, wie du redest (aber nur, wenn du gut reden kannst), entwickle den Gang, der deinen Chefs auffällt, entwickle die Attitüde, auf die es ankommt und die »den Unterschied macht«. Begreife sodann, dass du immerfort beobachtet und beurteilt wirst, achte auf dich, bleibe freundlich und lege dir einen Plan zurecht. Darauf wäre man selbst nicht gekommen. Ist das hier nur ein Leitfaden für Manager und solche, die es werden wollen? Oder soll auch ich mich angesprochen fühlen? In der Templar-Welt scheint es den Unterschied zwischen Managern und Leuten mit richtigen Berufen oder auch den Unterschied zwischen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen nicht zu geben, und wenn, dann hätte er keinen Einfluss auf seine Vorstellung von Work. Alles ist jetzt Firma, und alles ist Management.
    Ist es gut oder schlecht, wenn sich bei mir ein Widerstand gegen Templars Beschreibungen der Arbeitswelt meldet? Die öffentlichen Institutionen haben sich ja in den letzten Jahrzehnten mit großem werblichen und rhetorischen Aufwand als Unternehmen neu erfunden. Es war schließlich der Ehrgeiz der Politiker und Vorstände, Bundesanstalten in Agenturen und den Beamten in einen service- und kundenorientierten Dienstleister zu verwandeln. Vergiss also den Unterschied zwischen dem kampfeslustigen, karriere-aufmüpfigen Linchpin, der jeden Tag den Unterschied macht, und dir und merke: Richard Templar meint auch dich. Er meint uns alle, gleich ob wir nun öffentlich oder sonst wie angestellt sind. »Mache Lernen zur lebenslangen Mission«. Und »Halt den Mund, wenn Dir nichts Vernünftiges einfällt«. Aber auch: »Misch Dich ein!« »Sei den anderen einen Schritt voraus!« »Verstehe das System!« »Lerne mit Widerstand umzugehen!« Und dann, am Ende, fast erwartbar: »Wisse, wann Du die Regeln brechen musst!« Regeln, das sagen uns alle diese Managementbücher, sind nur die Sprossen, auf denen wir die Leiter hochklettern. Belohnt wird nur, wer im richtigen Moment die Leiter wegstößt und die Regeln
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