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Leben im Buero

Leben im Buero

Titel: Leben im Buero
Autoren: Christoph Bartmann
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dagegen ist ja nicht nur der physische Ort (Schreibtisch, Gummipflanze, Kunst an der Wand), in dem Büroarbeit geleistet wird, es ist vor allem der Raum, in dem die Ereignisse meines Outlook-Terminkalenders Gestalt annehmen, also die Meetings, die Besprechungen und sonstigen Kommunikationen, zu denen ich laufend von meinem Personal Information Manager eingeladen werde und – seltener – selbst einlade. Office heißt, anstelle der früheren Autoritäten, das Programm, unter dem ich stehe und das meinen Bürotag strukturiert. Es setzt sich bekanntlich zusammen aus Word, Excel, PowerPoint, Outlook und noch ein paar anderen Anwendungen. Office ist, und das kann man für einen Fortschritt halten, überall, räumlich wie sozial. Für Office brauche ich nicht einmal ins Büro zu gehen, und für Office brauche ich nicht einmal ein Büro- oder sonst wie Angestellter zu sein. In einer Hinsicht nämlich sind wir nichtkörperlich arbeitenden Menschen – Angestellte oder Freiberufler, Manager oder Sachbearbeiter, Künstler oder Werber, Lehrer oder Studenten, Wissenschaftler oder Journalisten – alle gleich: wir arbeiten mit oder besser unter Office. Erst dank Office hat sich der Bürogedanke – und mit ihm die ganze Icon-Bürowelt der Ordner mit aufgesetzten Reitern, der Papierkörbe und der Vorgänge, kurz, die gesamte Imitation des realen Büros auf Benutzeroberflächen – universalisiert. Wir haben nicht nur das Büro verinnerlicht, sondern das Büro hat sich in uns veräußerlicht; unser Arbeits- und vielleicht auch Privatleben hat insgesamt die Form des Büros angenommen.
    Wenn das so ist und wenn es sich nicht ändern lässt, warum bleibe ich dann nicht wirklich zu Hause und erledige meine Aufgaben mit Hilfe des Office-Pakets ungestört und termingerecht, statt im Büro von einer Besprechung zur nächsten zu hasten und dabei stets das Gefühl zu haben, ich würde an der Erledigung meiner eigentlichen Aufgaben tückisch gehindert? Legion ist die Zahl der Publikationen, die den Mangel an Effizienz in unserer Besprechungskultur beklagen und Abhilfe durch neue Methoden versprechen. Tatsächlich aber kommen die Besprechungen, in denen Maßnahmen zum Bürokratieabbau besprochen werden sollen, zu den ohnehin schon existierenden Besprechungen nur noch hinzu. Auch der permanente Change, von dem immer wieder geträumt und geredet wird, ist in erster Linie ein Besprechungsphänomen, und weil er alle angeht, eines, zu dem möglichst alle per Outlook eingeladen werden müssen (ablehnen gilt nicht, wenn es um den Changegeht). Im Büro also droht ständig der Arterienverschluss durch Sitzungs-Ablagerungen und Arbeits-Surrogate. Zu Hause hingegen wartet das Reich der Freiheit. Jedenfalls herrscht hier, wenn Frau und Kind ebenfalls zu ihren Verrichtungen aufgebrochen sind, relative Ruhe. Natürlich bin ich online und bearbeite also meinen Posteingang. Zu Hause schreibe ich eher die Konzeptpapiere, zu denen mir das Büro selten die freien Minuten lässt, es sei denn am Abend, wenn der Besprechungsanfall nachlässt. Zu Hause greife ich auch eher zum Telefon, um mal ein etwas ausführlicheres Gespräch zu führen, das nicht durch Besprechungen und das ihnen vorausgehende Alarmläuten des Outlook-Kalenders gestört wird. Zu Hause durchströmt mich manchmal ein Gefühl von Effizienz, ja von Leistung oder gar Wirkung, das mir im Büro selbst eher fremd ist. Zu Hause erlebe ich manchmal sogar den Flow, von dem wir im Büro nur reden, der aber durch vielerlei Ablenkungen selten oder nie zustande kommt.
    Tatsächlich geht aber kaum ein Arbeitgeber vom Prinzip der Realpräsenz am Arbeitsplatz ganz ab. Das wird Gründe haben, die mir, während ich auf der Fahrt ins Büro über mein Büroleben nachdenke, nicht ganz einleuchten. Hat es etwas mit Kontrolle zu tun? Das wäre nicht klug, denn kein Mitarbeiter ist da, nur weil er da ist. Niemand ist der Kontrolle durch seine Vorgesetzten eher entzogen als der vor seinem Bildschirm sitzende und vielleicht nur in seiner körperlichen Hülle anwesende, sonst aber in die Tiefen irgendeiner PC-Anwendung abgetauchte Büromensch neuen Stils. Mitten in der schönsten Büroanwesenheit können sich Abgründe der mentalen Abwesenheit auftun. Die Anwesenheit am Arbeitsplatz ist also oft nur eine leibliche. An- und Abwesenheit verteilen sich unter heutigen
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