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Leadership: Lehren, die mich durchs Leben führten (German Edition)

Leadership: Lehren, die mich durchs Leben führten (German Edition)

Titel: Leadership: Lehren, die mich durchs Leben führten (German Edition)
Autoren: Colin Powell
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ereiferte sich und ritt auf den Folgen herum, die der Ausgang dieser Diskussion für ihn haben würde. Schließlich verlor ich die Geduld und brach die Debatte ab. Ich hatte genug gehört. Ich entschied die Frage zugunsten des anderen Juristen, weil ich dessen Sachvortrag und Argumentation schlüssiger fand.
    Der Mann, der unterlag, schien tief getroffen zu sein, was allen im Raum äußerst unangenehm war. Der andere Jurist sah ihn und sagte: »Identifizieren Sie sich niemals so stark mit einem Standpunkt, dass Ihr Selbstwertgefühl zusammenbricht, wenn diese Position unterliegt.« Kurz und gut, man soll akzeptieren, dass der Standpunkt fehlerhaft war, was aber nichts mit der Person zu tun hat, die diesen Standpunkt vertritt.
    Das soll nicht heißen, dass man nicht leidenschaftlich und heftig argumentieren sollte. Während der Amtszeit von Verteidigungsminister Brown war W. Graham Claytor stellvertretender Verteidigungsminister, und ich war sein Verbindungsoffizier zu den Streitkräften (military assistant). Graham war ein mürrischer alter Virginianer, knallhart, mit hochrangiger Führungserfahrung in Behörden und Unternehmen. Bevor er stellvertretender Verteidigungsminister wurde, war er Marinestaatssekretär, und im Zivilleben war er ein bekannter Anwalt gewesen, Präsident von Southern Railway und Chef der Eisenbahngesellschaft Amtrak. Ich habe miterlebt, wie Graham sich mit jedem gemessen hat, der seinen Standpunkt nicht teilte. Aber wenn er bei einer Diskussion unterlag, setzte er sich genauso leidenschaftlich für das ein, was Verteidigungsminister Brown entschieden hatte.
    Ich habe alle mir untergebenen Befehlshaber und Mitarbeiter immer ermuntert, offen mit mir zu diskutieren. Meine Anweisung war einfach: »Widersprechen Sie mir, tun Sie es höflich, versuchen Sie mich davon zu überzeugen, dass Sie recht haben und dass ich auf dem Holzweg bin. Das sind Sie mir schuldig; deshalb sind Sie hier. Aber seien Sie nicht eingeschüchtert, wenn ich dagegenhalte. Irgendwann habe ich genug gehört und werde eine Entscheidung treffen. Von da an erwarte ich von Ihnen allen, dass Sie meine Entscheidung so umsetzen, als wäre es Ihre Idee gewesen. Ruinieren Sie die Entscheidung nicht mit mattem Lob, murren Sie nicht leise vor sich hin – wir ziehen jetzt alle an einem Strang, um die Aufgabe zu erledigen. Und diskutieren Sie nicht mehr mit mir, es sei denn, Sie haben neue Informationen oder ich erkenne, dass ich einen Fehler gemacht habe, und komme von mir aus auf Sie zu. Loyalität umfasst beides: kontroverse Diskussionen vor einer Entscheidung und im Anschluss deren vorbehaltlose Umsetzung. Es geht bei dieser Entscheidung nicht um Sie oder Ihr Ego; es geht darum, alle sachdienlichen Informationen zusammenzutragen, zu analysieren und dann die richtige Antwort zu finden. Ich mag Sie noch immer. Also, schlucken Sie Ihren Ärger runter.«
    Niemand hat diese Anleitung besser befolgt als Marine Colonel (Kapitän zur See) Paul »Vinny« Kelly, mein Verbindungsoffizier zum Kongress, als ich Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs war. Vinnys Aufgabe war es, mich so oft, wie er konnte, zu einem Abstecher zum Capitol Hill zu bewegen, wo ich vor Ausschüssen auftrat, mit Kongressmitgliedern plauderte, Mitarbeitern Dampf machte und all die anderen Dinge tat, die man tun sollte, um sich die Leute, die über die Verwendung der Steuergelder entscheiden, gewogen zu machen. Ich sah ein, wie wichtig diese Kontakte sind, aber Vinny bedrängte mich ständig, mehr zu tun. Er schneite immer mal wieder, nach einem anstrengenden Tag, spätabends in mein Büro hinein, um mich zur Teilnahme an noch einer weiteren Ausschusssitzung im Kongress zu bewegen. Wir gerieten in zum Teil heftige Wortwechsel, die im Allgemeinen mit der Aufforderung endeten: »Vinny, mach, dass du rauskommst!« Enttäuscht, aber ohne Widerworte verließ er das Büro. Am nächsten Tag kam er dann oft mit neuen Argumenten, weshalb ich zum Capitol Hill gehen sollte. Sie haben mich meistens überzeugt. Vinny wusste, dass dieses schroffe »Mach, dass du rauskommst« nicht auf ihn als Person gemünzt war. Es ging nie um sein Ego. Er akzeptierte meine Entscheidung; doch er wusste auch, dass es seine Aufgabe war, mich zu beschützen, und wenn er daher weiterhin der Überzeugung war, er habe recht und ich würde mich irren, trug er neue Argumente zusammen. Er kannte auch Regel 1 : »Morgen früh sieht’s besser aus«. Er war mir eine große Stütze. Als ich Außenminister wurde,
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