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Lauf, so schnell du kannst

Lauf, so schnell du kannst

Titel: Lauf, so schnell du kannst
Autoren: Linda Howard
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fiel ihr immer ein, was sie hätte sagen
sollen,
aber im gegenwärtigen Moment neigte sie eher dazu, mit dem herauszuplatzen, was ihr gerade durch den Kopf ging. Außerdem
war
Harlan wirklich nicht alt, wahrscheinlich Mitte sechzig, also etwa so alt wie ihr Dad.
    Aber ihr Dad war tot, und plötzlich meinte Angie zu wissen, was Harlan meinte. Er hörte den Ruf des Jenseits; manchmal fing sie selbst ein Echo davon auf, in der Stille, die sie umgab – und die plötzlich voller Erinnerungen sein konnte. Vielleicht war das die Art der Natur, vom Leben zum Tod überzugehen, oder von diesem Leben zu einem anderen. Er wusste, dass er sich wahrscheinlich im letzten Viertel seines Lebens befand, und er wollte das Meiste daraus machen, mit den Menschen, die ihm das Meiste bedeuteten.
    »Alt genug«, sagte er und schaute wieder zu den hoch aufragenden Bergen hinüber. »Wenn ich jetzt nicht umziehe, werde ich vielleicht keine Zeit mehr haben.«
    Und das brachte es auf den Punkt. Sie tat genau das Gleiche, wenn auch aus anderen Gründen. Ihr lief die Zeit davon.
    »Ja«, erwiderte sie sanft. »Ich weiß.«
    Ganz plötzlich umarmte er sie, eine zwar einarmige, aber rippenzerquetschende Umarmung, die vorbei war, bevor sie auch nur einen Laut von sich geben konnte. »Ich werde dich vermissen, Angie, aber wir werden in Kontakt bleiben. Das verspreche ich dir.«
    »Gleichfalls«, sagte sie verlegen. Wie üblich war sie von dem Gefühl des Augenblicks hoffnungslos überfordert, aber sie schaffte es, ihn anzulächeln, als sie vor die Tür trat. Manche Menschen sagten und taten instinktiv das Richtige, zu diesen gehörte sie allerdings nicht. Das Beste, was sie tun konnte, war, tja, war eben das Beste, was sie tun konnte – und sie hoffte, dass sie es nicht allzu sehr vermasselte.
    Sobald sich die Tür jedoch hinter ihr schloss, wurde ihr Lächeln traurig. Sie wollte nicht fortgehen. Sie war in ihrem Haus aufgewachsen, sie mochte die kleine Gemeinde hier, obwohl es weiß Gott nichts gab, was ein Nachtleben genannt werden konnte, außer man zählte Frösche mit. Na und? Sie hatte gerne in Billings gelebt, und sie lebte noch immer gerne hier. Nach einer Weile wurde jeder Ort, in den sie zog, zu ihrer Heimat. Sie war die, die sie war, ganz gleich, wo sie lebte. Grimmig schüttelte sie ihre Traurigkeit ab. Wenn sie ihre Selbstmitleidsorgie nicht bald überwand, riskierte sie, das zu werden, was sie am meisten verabscheute: eine
Heulsuse.
    Sie nahm die Außentreppe in einem flotten Tempo und schritt dann über den rissigen Parkplatz zu ihrem sieben Jahre alten, dunkelblauen Ford Pick-up; dabei hielt sie den Kopf nur mit Mühe hoch erhoben. Sie war nicht ganz geschlagen, nein, noch nicht, aber diese Schlacht hatte sie definitiv verloren, und der Geschmack der Niederlage war bitter wie Galle in ihrem Mund. Das Schlimmste war: Dare Callahan wusste wahrscheinlich nicht einmal, dass sie um ihr Überleben gekämpft hatte und er ihr, als sie zum dritten Mal unterging, praktisch den Stiefel auf den Kopf gesetzt und sie unter Wasser gedrückt hatte – und wenn er es doch gewusst
hätte
, wäre es ihm egal gewesen.
    Gott, sie hasste ihn! Nein, es war kein richtiger
Hass,
aber sie konnte ihn auf den Tod nicht ausstehen. Allein der Gedanke, dass sie vor zwei Jahren in Versuchung gewesen war, seine Einladung zum Ausgehen anzunehmen, dass sie sogar Schmetterlinge im Bauch gehabt hatte! Aber damals hatte sie noch nicht begriffen, was er da eigentlich tat. Jetzt wusste sie es besser. Sie mochte nichts an ihm, nicht, wie er aussah, oder den Truck, den er fuhr, und noch nicht einmal seinen verdammten Namen.
Dare.
    Wenn sie fair sein wollte – und ihr war keineswegs danach zumute, fair zu sein –, musste sie vermutlich seinen Eltern die Schuld an seinem Namen geben, aber das bedeutete nicht, dass er vollkommen unschuldig war, denn schließlich hätte er seinen Namen in Jim oder Charlie ändern können, etwas in der Art. Aber auf einer Website machte sich ein Dare Callahan, Wildnisführer, natürlich erheblich cooler als zum Beispiel ein schlichter, alter Charlie Callahan – so hatten die Leute wahrscheinlich das Gefühl, sie engagierten jemanden wie Indiana Jones.
    Und wenn sie ihre eigene Website mit seiner verglich, dann klang Powell-Touren so glanzlos, dass sie zugeben musste: Wahrscheinlich würde sie sich selbst nicht buchen. Es war hart, sich dieser Tatsache zu stellen, aber so war es nun mal. Sie hatte kein Geld, jemanden damit zu
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