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Lass den Teufel tanzen

Lass den Teufel tanzen

Titel: Lass den Teufel tanzen
Autoren: Teresa De Sio
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Schicksal meiner Schwester war vorbestimmt…
    Am Nachmittag des Begräbnisses kam Mamas ganze Verwandtschaft aus Procida und auch einige aus der Familie meines Vaters, die allesamt Apulier waren und von hier, aus Mangiamuso, stammten.
    Alle weinten und schauten meinen Vater an. Er saß für sich allein, ganz still, mit gesenktem Kopf, und rollte sich während des gesamten Begräbnisses diese stinkenden Zigaretten, die er immer rauchte. Die Verwandten, sie sahen ihn an und dann mich, und dann steckten sie die Köpfe zusammen und sagten mit leiser Stimme: »Und jetzt? Wer wird sich um sie kümmern, um diese armen kleinen Geschöpfe und um diesen armen Mann? Wie soll er das alleine bloß schaffen …« Wie ich Ihnen gesagt habe, ich war damals noch ziemlich klein, gerade mal acht Jahre alt … Verstehen Sie, ich hatte noch gar nicht begriffen, was geschehen war. Donna Aurelia hatte mich nicht ins Schlafzimmer gelassen, wo
meine tote Mutter lag, weshalb ich sie nicht gesehen hatte. Stellen Sie sich vor, und so dachte ich am nächsten Tag, als meine Mutter nicht mehr da war, dass sie irgendwohin gegangen sei, bloß um das kleine Mädchen nicht mehr sehen zu müssen, das ihr so viel Schmerzen bereitet hatte. Oder, so dachte ich, vielleicht war sie ja auch nach Neapel zu ihrer Schwester gefahren, die Nonne im Kloster San Giovanni war und die sie in der Tat gelegentlich für zwei oder drei Tage besucht hatte. Nur dass am Morgen danach ebenjene Nonne, meine Tante, zu uns kam, und meine Mutter war immer noch nicht da … Aber was wusste ich damals schon, was es heißt, wenn jemand stirbt.
    Diese Tante, die Nonne, hatte als junges Mädchen Gemma geheißen, nannte sich aber, seit sie den Schleier genommen hatte, nur noch Schwester Addolorata, und so nannten wir sie auch. Sie war jung und groß gewachsen, jünger und größer als meine Mutter. Und an jenem Nachmittag, als nach dem Begräbnis alle nach Hause gegangen waren, rückte sie ihren Stuhl neben meinen Vater, der immer noch ganz still und mit ausgestreckten Beinen dasaß, rauchte und zu Boden schaute. Mein Vater hat sein ganzes Leben lang geraucht, diese Zigaretten, von denen seine Finger ganz gelb wurden und die ihn, wenn man mich fragt, auch ins Jenseits befördert haben. Auch die Tante sagte kein Wort, doch man merkte, dass sie weinte, denn sie zog immer wieder die Nase hoch. Ab und zu streckte sie die Hand aus und legte sie meinem Vater aufs Knie, vielleicht um ihn zu trösten. Und alle schauten zuerst sie an und dann mich, die ich mit einem harten Zwieback, den sie mir gegeben hatten, unter dem Esstisch saß und daran knabberte, um mir die Zeit zu vertreiben,
denn es dauerte lange, bis man den gegessen hatte. Und ich war zufrieden, denn sicher wissen Sie nicht mehr, wie gut der war, dieser Zwieback, den ich damals noch essen konnte, ohne mir die Zähne daran auszubeißen. Ach ja, Signorina, alles hat sich verändert, die Zeit vergeht, und die Dinge sind nicht mehr das, was sie mal waren … auch der Zwieback … und die Menschen … und die Gedanken, die man sich macht, die einem manchmal durch den Kopf gehen. Da vergehen so viele Jahre, in denen man denkt, was weiß ich, dass zum Beispiel dieser Tisch da … dass er rot ist, und ganz plötzlich, eines Morgens, merkt man, dass er in Wirklichkeit grün ist. Und dann kann man sich vielleicht sagen: »Na und? Wäre rot denn besser als grün?« Aber es geht gar nicht um besser oder schlechter, sondern nur darum, dass man nicht daran gewöhnt ist, und es ist schwer, sich an etwas zu gewöhnen, denn selbst wenn man alle Zeit der Welt dazu hat, gewöhnt man sich nicht mehr daran.
    Jedenfalls glaube ich, dass an genau dem Tag unsere apulischen Verwandten und auch Donna Aurelia meinen Vater überredet haben, dass er dort in Procida nicht bleiben könne, denn wie sollte er das schaffen mit diesem kleinen Ding, das gerade erst auf der Welt war, und einem anderen von acht Jahren, und das war ich … Nur Schwester Addolorata, meine Tante, beharrte darauf, dass wir nicht wegziehen müssten, weil sie vielleicht bei uns bleiben wolle, schließlich seien wir die Töchter ihrer verstorbenen Schwester, und es habe ihr sowieso immer leidgetan, uns nicht aufwachsen zu sehen. Ich weiß nicht, wie es kam, jedenfalls ließ sich mein Vater von seiner Verwandtschaft überzeugen, und so zogen wir, kaum war unsere Mutter einen Monat unter der Erde,
hierher nach Mangiamuso, und auch Donna Aurelia, der unsere Familie ans Herz gewachsen war,
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