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Kyria & Reb Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Kyria & Reb Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Kyria & Reb Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Andrea Schacht
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dringend einen klaren Kopf bekommen. Das Angebot der Hohepriesterin, mich als Novizin in den Tempel der Matronae aufzunehmen, war für jedes Mädchen äußerst schmeichelhaft. Es waren hochbegehrte Positionen, und man musste besondere Qualifikationen vorweisen, um Einlass in das Allerheiligste zu erlangen.
    Oder Beziehungen haben.
    Meine Mutter war von Jugend an mit Saphrina befreundet.
    Sonst hätte ich dieses Angebot nie erhalten.
    Andererseits – ich lief auch außer Konkurrenz. Mein Leben würde vermutlich früh genug erlöschen, bevor ich auch nur einer der besser qualifizierten Novizinnen den Rang einer Priesterin streitig machen konnte. Einer Todgeweihten gegenüber konnte die Hohepriesterin großzügig sein.
    Zynisch, ich weiß. Aber ich stand der pompösen Selbstdarstellung unserer Religionsführerinnen nicht besonders freundlich gegenüber. Frustriert drehte ich mich im Bett um und knautschte das Kissen unter meinem Kopf zusammen.
    Seit ich denken konnte, wusste ich, dass etwas nicht mit mir stimmte. Kinder sind ja nicht doof. Man lauscht und hört, und wenn man auch die Worte nicht recht versteht, so bemerkt man Blicke und Tonfall und verhuschte Bewegungen. Dass ich nicht mit anderen Kindern in die Tagesstätte durfte, sondern eine eigene Kinderfrau hatte, war so ungewöhnlich nicht, aber als alle anderen Gleichaltrigen zur Schule gingen, bekam ich Hauslehrer. Und bei jedem noch so kleinen Unwohlsein landete ich hier im Heilungshaus. Außerdem musste ich alle drei Monate zu allerlei Vorsorgeuntersuchungen. Irgendwann fiel es mir auf, und ich begann Fragen zu stellen.
    Antworten bekam ich nur ausweichend – als Tochter einer der wichtigsten Frauen in NuYu gebührte mir natürlich besondere Fürsorge. Aber das Getuschel der Ärztinnen und der Bekannten meiner Mutter ließ mich anderes vermuten. Mit sechs ungefähr erfuhr ich die Wahrheit – eine Erbkrankheit bedrohte mein Leben. Eine Krankheit, die jederzeit aus ungeklärten Gründen ausbrechen konnte und innerhalb kurzer Zeit meine Organe zerstören würde.
    Als Kind hatte ich noch nicht so viel Angst davor, aber ich spürte die meiner Mutter. Als ich älter wurde, versuchte ich das alles als übertriebene Aufregung abzutun. Ich fühlte mich gesund und fit. Doch dann fing das mit dem Schwindel an. Vor drei Jahren etwa. Zuerst beachtete ich ihn nicht weiter, er ging schnell wieder vorbei. Aber einmal packte er mich, während ich allein im Park war. Ich fiel hin und verlor für eine Weile die Besinnung.
    Seither wusste ich, was Panik war.
    Ich verschwieg diese Anfälle, damit man mich nicht sofort wieder in ärztliche Obhut gab. Was man nicht weiß, passiert nicht.
    Trotzdem fing ich an, mir Gedanken über Leben und Tod zu machen.
    Weil diese Fragen die Religion beantworten sollte – so hatte man mich gelehrt – , hatte ich eine der Priesterinnen des Matronentempels aufgesucht, um mit ihr darüber zu reden. So im Allgemeinen natürlich.
    Sie gab mir ein Kräutersäckchen und ein Badeöl mit – zur Entspannung. An einer Zeremonie durfte ich auch teilnehmen, in der mit viel Duft und Gongschlägen und leisem Summen die Güte der Großen Mutter beschworen wurde.
    Antworten hatte ich nicht erhalten.
    Aber ich suchte noch immer danach.
    Ich lebte ja auch noch immer.
    Und müde war ich jetzt auch nicht mehr. Ich stand auf, legte mir den breiten Schal über , etwas dunkler im Blau als Tunika und Hose – ja, VIP-Ausstattung , und trat auf den Gang. Irgendwo in diesem Heilungshaus würden sich andere Schlaflose treffen, das wusste ich aus Erfahrung. Hier, und nur hier, war es mir möglich, mich ohne ständige Aufsicht auch einmal ganz ungezwungen mit Menschen aus der Civitas zu unterhalten. Eine ganze Reihe interessanter Einblicke in das Leben unserer bürgerlichen Mittelschicht hatte ich dabei erhalten. Und nicht nur in deren Leben, sogar ein Mädchen aus den Reservaten hatte ich auf diese Weise kennengelernt. An Hazel erinnerte ich mich oft – sie hatte mir mehr zu denken gegeben als die Matronenpriesterin.
    Der Gang war matt erleuchtet, die meisten Türen, die zu den Ruhezimmern führten, geschlossen. Nur am Ende des Ganges befand sich eine fahrbare Trage. So etwas stand oft irgendwo im Heilungshaus herum, doch immer leer.
    Auf dieser hier lag jemand.
    Und kein Personal weit und breit.
    Das war ungewöhnlich. Und ich neugierig.
    Ich trat an die Liege und erschauderte. Blutige Lumpen, verschorfte Haut, verklebte dunkle Locken, ein schmutziges Gesicht,
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