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Kurzschluss

Kurzschluss

Titel: Kurzschluss
Autoren: Gmeiner-Verlag
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oft darüber diskutiert. In Leipzig wurde seit 2002 der Preis für die elektrische Energie durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Ein Vorgang, den sich Laien kaum vorstellen konnten, schließlich war Strom nicht irgendwo zu bunkern – wie also sollte man ihn im Voraus kaufen? Und vor allem: Wie sollte es möglich sein, Strom an jeder beliebigen Stelle zu erwerben, wo doch alles an ein und demselben Netz hing?
    Alfred Feucht musste an eine Bemerkung des Chefs denken, die dieser einmal nach einer Diskussion in einem kommunalpolitischen Gremium gemacht hatte: »Die meisten Menschen wissen nur, dass der Strom aus der Steckdose kommt. Aber was dahintersteckt, welche Mächte und Einflüsse, das kann sich keiner vorstellen.«
    Jetzt, im Kreis dieser beiden engeren Mitarbeiter, wusste Bodling, dass er nur Experten um sich hatte. »Wir haben erlebt, wie der Ölpreis explodiert ist und wie das Gas nachgezogen hat«, stellte er fest und schob seine Brille zurecht. »Ich wage die Prognose, dass der globale Markt endgültig den Energiesektor vereinnahmt hat. Eine Einschätzung übrigens, die auch Herr Wollek mit mir teilt.« Wollek, der normalerweise auch an dieser Freitagsrunde teilnahm, jedoch noch bis Mittwoch Urlaub hatte, galt als profunder Kenner der Energieszene, insbesondere aber, was die Verflechtungen innerhalb der Stromkonzerne anbelangte. Vor vier Jahren hatte er sich beim Albwerk beworben, weil er aus familiären Gründen, wie er sagte, in den Raum Ulm ziehen wollte. Für Bodling war der Mann, den er damals ohne zu zögern einstellte, ein Glücksfall gewesen. Denn die Fachkenntnis, die der 45-Jährige zweifelsohne besaß, war in diesen Zeiten enorm wichtig.
    Auch Hasso Schweizer hatte kurz an diesen sympathischen Kollegen gedacht, mit dem er gerne über die tagesaktuellen Probleme diskutierte.
    »Herr Wollek«, fuhr der Chef fort, »geht davon aus, dass auch bei sinkenden Produktionskosten die Strompreise weiter steigen werden – also selbst dann, wenn die deutschen Kernkraftwerke länger laufen oder die osteuropäischen noch mehr Energie liefern.«
    »Sie meinen, man zieht raus, was rauszuziehen ist«, stellte Schweizer fest.
    »Entschuldigen Sie«, unterbrach ihn Feucht von der anderen Seite des Tisches, »aber das war doch zu erwarten. Drei Dinge braucht die Weltbevölkerung am dringendsten – Wasser, Luft und Energie. Und wer damit verdienen kann, tut dies gnadenlos.«
    Bodling nickte bedächtig. »Und da spielt es keine Rolle, ob ein paar Millionen auf der Strecke bleiben.« Er bezog sich damit nicht auf eine Geldsumme, sondern auf Menschenleben.
    Feucht bekräftigte: »Da geht es um Leben und Tod.«
    »Wer sich in den Weg stellt, der muss weichen«, meinte der Jüngere, dessen Handy in diesem Moment eine SMS vermeldete.

4
    Der Mann mit der braunen Lederjacke und der olivgrünen Schildmütze war über die nahezu leere vierspurige Straße auf Oranienburg zugefahren. Die Sonne blendete von links. Er entschloss sich, die nächste Großtankstelle anzusteuern, in der Hoffnung, dass es dort auch eine Autowaschanlage gab.
    Bereits nach wenigen Kilometern hatte er in einem dieser großen Gewerbegebiete, wie sie überall im Osten aus dem Boden gestampft worden waren, gefunden, was er suchte. Er bog ab und steuerte direkt auf die gläserne Waschanlage zu, in die gerade ein Auto verschwunden war. Ein paar Minuten später war auch er mitten in diesem Getöse aus Bürsten und Wasserstrahlen. Während er um sich herum dieses Inferno verfolgte, war er sich gewiss, dass jedes Stäubchen aus der Mecklenburger Seenplatte beseitigt werden würde. Kein noch so penibler Spurensucher würde noch etwas finden können. Es sei denn, durchzuckte es ihn, im Reifenprofil steckten Sandkörner, die in den kriminaltechnischen Laboratorien mit Proben vom Ufer des Peetschsees verglichen werden könnten. Wenn er Glück hatte, kam er in einen Regenschauer. Er nahm sich vor, bei der nächsten Gelegenheit auf einen Feldweg abzubiegen, damit sich das Profil mit neuem Schmutz und Staub füllen konnte. Außerdem musste er dringend die Ladefläche auskehren, die Stiefel beseitigen, seine Schuhe reinigen und vor allem den Fußraum des Autos putzen, einschließlich der Pedale, an denen es genügend Ablagerungen geben würde.
    Keine Panik, beruhigte er sich selbst, während der Geländewagen von einem Warmluftsturm angeblasen wurde und die Wassertropfen auf der Windschutzscheibe auseinanderstoben. Er musste besonnen vorgehen, einen Schritt nach dem
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