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Kurt Ostbahn - Kopfschuss

Kurt Ostbahn - Kopfschuss

Titel: Kurt Ostbahn - Kopfschuss
Autoren: Guenter Broedl
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der Totenkopf-Krise und dem nun anstehenden Bau eines zweiten Pappkarton-Gerippes zu berichten.
    Und auch Emilio ist zufrieden. Der ebenso umfangreiche wie gut gelaunte Wirt setzt sich zu mir und stellt eine Flasche Spezial-Mezcal auf den Tisch, die ihm sein ältester Bruder Miguel aus dem Hochland zum Geburtstag geschickt hat. „Ich hab den Kindern den gleichen Vorschlag schon vor Stunden gemacht“, meint er und füllt die Gläser, „aber niemand wollte davon hören. Da sieht man, was das Wort des Vaters heute noch zählt. ¡Salud!“
    Er hebt lachend das Glas und zeigt dabei mehr Goldzähne als Rosalitas Totenkopf.
    „¡Salud!“
    Unser dringendes Gespräch unter vier Augen ist mit dieser ersten Runde Agavenschnaps wohl eröffnet, bleibt thematisch aber vorerst sozusagen in der Familie. Emilio berichtet mir begeistert von seinem Bruder Alfonso, der seit einem halben Jahr in einem erstklassigen Hotel in Nuevo Laredo als Nachtportier arbeitet und dem ich heute früh eine Autogrammkarte von Robert Mitchum geschenkt habe.
    „Hab ich das?“, frage ich.
    „John Smith!“, lacht Emilio, zwinkert mir verschwörerisch zu und füllt die Gläser.
    „Wer ist John Smith?“
    Meine Frage erheitert den korpulenten Kantineur so sehr, dass er mit der flachen Hand auf die Tischplatte haut, worauf der Geburtstags-Mezcal über den Rand der Gläser schwappt und ich anfange, mir ernsthafte Sorgen um meinen Geisteszustand zu machen. An dem einen Glas Mezcal kann’s nicht liegen. Das mexikanische Bier, mit dem ich mich seit dem lebensbedrohenden Verzehr der chilaquiles verarzte, enthält meines Wissens keine bewusstseinsverändernden Substanzen. Also sind wohl der Jetlag, die viele Sonne und der plötzliche Klimawechsel eine unheilige Allianz eingegangen, die nun mein Bewusstsein trübt.
    Die Sache ist doch die: Ich bin irgendwann gestern oder so von Wien nach New York geflogen, von New York nach Fort Worth und von Fort Worth nach Laredo. Dort hab ich mir ein Taxi vom Flughafen zur Ponte 1 genommen und zu Fuß diese graubraunen, schlammigen Gestade überquert, die von den Texanern in ihrer großspurigen Art Rio Grande genannt werden. Ich habe das südliche Ufer und somit mexikanischen Boden betreten und mir in Nuevo Laredo einen Mietwagen genommen, der mich bis zu der bereits erwähnten Zehn-Meter-Yucca und keinen Zentimeter weiter bringen wollte. Den Rest des staubigen Weges bin ich marschiert, weil in dieser trostlosen Gegend öffentliche Verkehrsmittel nicht existent und private Mitfahrgelegenheiten äußerst rar sind. Außerdem warnen Film und Fernsehen immer wieder davor, in menschenleeren Regionen wie dieser zu Fremden ins Auto zu steigen. Mindestens fünfzig Prozent des Verkehrsaufkommens entfallen hier auf mordlustige Sektenmitglieder, drogensüchtige Drogenkuriere und durchgeknallte, bis an die Zähne bewaffnete Ami-Pärchen, die einmal zu oft Natural Born Killers gesehen haben.
    So kam ich also am späten Nachmittag zu Fuß nach Tres Gruces, das es laut Wanderkarte nicht gibt. Womit die Karte gar nicht einmal so Unrecht hat. Denn Tres Gruces ist keine Ortschaft, kein Dorf oder Weiher, wie wir das von uns daheim gewöhnt sind. Tres Gruces fängt dort an, wo die Sandpiste aufhört, und zwar mit Ernestos Autofriedhof, Schrottplatz oder was auch immer der rostige Trümmerhaufen darstellen soll. Dann sehen wir zu unserer Linken und Rechten zirka sieben ebenerdige Hütten und Häuser sowie Emilios cantina, das einzige Gebäude mit Obergeschoss. Komplettiert wird das traurige Ensemble von den Ruinen einer jesuitischen Missionskirche, der Tres Gruces seinen Namen verdankt. Bei entsprechender Sonneneinstrahlung spenden die drei Kreuze auf dem Glockenturm Ort und Umland golden glänzend göttlichen Trost.
    Emilio hat vorerst genug gelacht, hebt das Glas und ernennt mich per Trinkspruch zu el loco.
    Mit der Narrenkappe kann ich leben.
    Mit den Aufgaben aber, die man mir zugedacht hat, tu ich mich echt schwer. Es geht um einen gewissen Ramon und um eine Señora Regina, die ich morgen dringend aufsuchen muss.
    Und es geht um Mord.
    Nach dem dritten Glas lähmen mir Müdigkeit und Mezcal die Zunge. Sonst würde ich sofort und lautstark Einspruch erheben und ein für alle Mal klarstellen, dass John Smith aus mir unbekannten Gründen noch nicht in Tres Cruces eingetroffen ist, obwohl er sich zur selben Zeit wie ich in Nuevo Laredo auf den Weg gemacht hat.
    Ich bin nicht John Smith, würde ich zu Emilio sagen, und ich bin auch nicht
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