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Kunden lesen

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Titel: Kunden lesen
Autoren: Wiebke Lueth
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Kunden!

Erste Sekunde

1. Komm, lass dich drücken
Die Augenbrauenhöhe
    Ein herzhaftes »Grüß Gott« übertönt das Bimmeln an der Tür der Weinhandlung, und schon steht die Gruppe von Männern mitten im Verkaufsraum. Acht sind es, alle so zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt. Die meisten tragen Pullover über dem Hemd, einer einen tadellosen Businessanzug. Die Gruppe strömt über die großzügige Verkaufsfläche direkt auf den Verkäufer zu. Ein drahtiger Mann schüttelt dem Verkäufer herzlich die Hand.
    »Hallo, ganz schön mieses Wetter, oder? Gerade richtig, um es sich hier drin im Warmen schön gemütlich zu machen. Darf ich vorstellen? Ich bin der Dieter, Dieter Singer; das hier sind Johannes, Markus, Peter, Kai, Alex, Michael und Till. Alles Kollegen von mir. Wir haben uns gedacht, wir schauen uns heute Abend mal die neue Weinhandlung an. Sie haben ja erst letzten Monat eröffnet, nicht wahr? Schön haben Sie’s hier!«
    »Freut mich, dass es Ihnen gefällt. Schauen Sie sich ruhig um. Möchten Sie was probieren? Ich hätte hier einen ganz besonderen Rioja, darf ich Ihnen davon einen Schluck einschenken?«, antwortet der Weinhändler Wolf Bierhenkel erfreut.
    Fröhlich plaudernd scharen sich die Kollegen um Wolf Bierhenkel. Probieren munter von diesem und jenem Wein, kosten, loben den Geschmack. Die Unterhaltung kreist um die Toskana und andere Weingegenden und wer wo schon im Urlaub war. Die Kunden sind untereinander alle per du, und bald wird auch der Verkäufer geduzt. Er wird so in den Wirbel hineingezogen, dass er Mühe hat, noch ein Auge auf den Rest des Verkaufsraums zu halten.
    »Moment, steht da nicht noch ein einsamer Kunde? Ja, aber das ist doch einer der Gruppe! Es ist der einzige Sakkoträger.« Er hat sich abgesondert, steht vor dem Weinregal und mustert scheinbar gedankenverloren die Etiketten. Wolf Bierhenkel überlegt, ob er ihn gezielt ansprechen oder lieber in Ruhe lassen soll.
    »He, Peter, probier den doch auch mal!«, winkt ihm in diesem Moment einer der Truppe zu. Peter kommt etwas zögernd näher, nimmt das angebotene Glas und nippt daran. Kurz darauf stellt er das Glas auf den Tisch und widmet sich wieder dem Studium der Weinregale.
    Die fröhliche Gruppe bleibt noch anderthalb Stunden lang in der Weinhandlung, die Gesprächsthemen werden immer privater. Schließlich macht sich Aufbruchsstimmung breit. Zum Abschluss kaufen die Herren ein paar Flaschen Wein, nicht viele. Dann klopfen sie dem Verkäufer herzlich auf die Schulter: »War supernett. Bis demnächst mal wieder, Wolf!« Vor der Türe verabschieden sie sich mit allseitigen Umarmungen und driften dann langsam auseinander.
    Wolf Bierhenkel überschlägt: Die acht Kunden zusammen haben elf Flaschen Wein gekauft. »Schlechtes Ergebnis für zwei Stunden Arbeit und sechs geöffnete Probierflaschen«, resümiert er.
    Doch die eigentliche Überraschung kommt eine Woche später: Der zurückhaltende Kunde von der ausgelassenen Männerrunde neulich steht plötzlich vor dem Schaufenster und späht ins Ladenlokal. Das ist um diese Tageszeit – früher Nachmittag – leer. Bis auf Wolf Bierhenkel. »Guten Tag.« Der Kunde betritt den Laden und grüßt mit zurückhaltender Höflichkeit. Vom letzten Besuch hat er sich verschiedene Lagennamen gemerkt, fragt nach deren charakterlichen Besonderheiten und danach, ob der Silvaner aus Franken auch zu einer Maronensuppe passt. Innerhalb von einer halben Stunde stellt er mehrere Kisten edler Tropfen für sich zusammen. Mit stiller Freude hilft ihm Wolf Bierhenkel, die Kartons ins Auto zu verladen. Dieser Kunde hat deutlich mehr Geld ausgegeben als alle seine Kollegen zusammen in der Woche zuvor. Er bedankt sich für die gute Beratung, verabschiedet sich höflich und braust davon.
    Verwundert starrt der Verkäufer dem Auto nach: »Was habe ich denn letzte Woche falsch gemacht? Und was jetzt richtig?«
Hoch oder niedrig?
    Wie beim Schachspiel gilt auch in der Verkaufssituation: Die richtige Eröffnung bestimmt den gesamten Verlauf der Partie. Die ersten zehn oder zwanzig Sekunden sind entscheidend, um die Stimmung festzulegen. Und wenn am Anfang etwas nicht stimmt, ist man mehr mit der Korrektur der Situation beschäftigt als mit dem eigentlichen Verkaufen. Das Geheimnis liegt im richtigen Maß für Nähe und Distanz. Das gilt für den Start – und bestimmt das ganze Gespräch.
    Doch wie legt man den richtigen Start beim Verkaufsgespräch hin? In welchem Beziehungsrahmen läuft idealerweise
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