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Kuess mich, und ich bin verloren

Kuess mich, und ich bin verloren

Titel: Kuess mich, und ich bin verloren
Autoren: Tessa Radley
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dass ihr schon beim geringsten Anlass zum Weinen zumute war. Der Arzt hatte gemeint, das sei normal und würde vorübergehen. Ausweichend sagte sie: „Ich bin einfach gerade total durcheinander.“
    Unsicher wich Harry einen Schritt zurück.
    Clea tätschelte den Aufschlag seines Smokings und lächelte schwach. „Schon gut, ich verspreche dir, ich werde mir nicht gleich die Augen ausheulen.“
    Harry schaute sich rasch um, dann sagte er entschlossen: „Du kannst dich jederzeit an meiner Schulter ausweinen.“
    Clea spürte ein Brennen in der Kehle. „Ich habe genug geweint. Brand ist tot, und ich muss endlich mit meinem Leben weitermachen. Alles wird wieder gut.“ Wenn sie sich das nur oft genug sagte, würde sie es eines Tages vielleicht sogar glauben. „Und außerdem habe ich ja etwas, das meinem Leben einen Sinn gibt.“
    „Clea, ich bin immer für dich da. Das weißt du.“
    Trotz seiner Worte sah man ihm die Angst förmlich an, Clea könnte öffentlich die Kontrolle über sich verlieren, vor den Augen von New Yorks High Society. Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ich danke dir, Harry, du bist mir eine große Hilfe.“
    Seine Miene hellte sich auf. „Dafür sind Freunde doch da.“
    Im Eingangsfoyer des Museum of Ancient Antiquities hielt Brand inne. Seit er das letzte Mal hier gewesen war, hatte sich einiges verändert. Dennoch wirkte alles noch immer sehr vertraut.
    Die alten schwarz-weißen Fliesen waren durch glänzenden weißen Marmor ersetzt worden, und der Boden war nicht die einzige Veränderung. Wo früher eine knarzende Holztreppe nach oben geführt hatte, bedeckt von einem schon fadenscheinig werdenden, senffarbenen Teppich aus den Fünfzigerjahren, erhob sich jetzt eine imposante Marmortreppe mit verschnörkeltem Bronzegeländer. Rechts von der Treppe stand die Statue einer vorchristlichen Göttin. An dem Getreidebündel, das sie trug, erkannte Brand, dass es sich um Inanna handeln musste, die antike sumerische Göttin der Liebe, der Fruchtbarkeit und des Krieges.
    Aus der dunklen, altmodischen Eingangshalle war ein moderner und einladender Ort geworden. Genauso hatte Clea es sich an einem verschneiten Winterabend ausgemalt, während sie beide zu Hause vor dem Kaminfeuer saßen. Begeistert hatte Brand ihren Ideen gelauscht, wie sie das Museum zur anziehendsten Antikensammlung von New York umgestalten wollte.
    Langsam ging er weiter und sah sich stolz um. Seine Frau hatte tatsächlich ihren Traum in die Wirklichkeit umgesetzt. Das Museum war nicht mehr nur ein vernachlässigter Treffpunkt von Forschern und Kunstliebhabern, sondern es war aufgeblüht, wirkte irgendwie lebendig – so, wie Clea es sich vorgestellt hatte.
    Am Fuß der Treppe stand ein Grüppchen von Frauen in Designerkleidern und Stilettos. Ein weiß gekleideter Kellner servierte ihnen Cocktails.
    Brand ließ den Blick über die Frauen schweifen. Clea war nicht darunter. Sein Blick ging weiter. Rund um die Frauen standen weitere Gruppen, alles nur Männer. In ihrer eleganten schwarz-weißen Abendgarderobe umlagerten sie die Figur der Inanna.
    Wo aber war seine Frau?
    Brands Herz klopfte aufgeregt, als er weiterging, unter einem vergoldeten Kronleuchter, dessen schimmernde Kristalle glitzernde Lichtpunkte an die gewölbte Decke warfen. Er steuerte auf die beeindruckende Treppe zu, die in den ersten Stock mit weiteren Ausstellungsräumen führte. Er konnte es nicht erwarten, Cleas bezaubernde grüne Augen strahlen zu sehen, sobald sie ihn entdeckte; er wollte sie endlich berühren, ihren weichen, warmen Körper in die Arme schließen.
    Seine Frau. Seine Geliebte. Sein Ein und Alles. Jede Minute, die er von Clea getrennt gewesen war, war ihm unerträglich vorgekommen.
    Oben angelangt hielt Brand inne. In der langen Galerie drängten sich die Gäste. Die funkelnden Juwelen und die prächtigen Kleider ließen ihn blinzeln. Inmitten all dieser Leute wurde ihm plötzlich unbehaglich zumute.
    Vielleicht hätte er anrufen sollen, um ihr seine Rückkehr anzukündigen.
    Aber nachdem er den langen und gefährlichen Weg durch das Bergland im Norden des Iraks hinter sich gebracht hatte und endlich in der Türkei angekommen war, hatte er nur noch so schnell wie möglich zurück in die USA gewollt. Allerdings hatte noch immer die Gefahr bestanden, dass man ihn wegen seines falschen Passes verhaftete. Und unerklärlicherweise hatte er gefürchtet, es wäre ein schlechtes Omen, Clea anzurufen.
    Jetzt war es zu spät, um es sich
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