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Kühlfach betreten verboten

Kühlfach betreten verboten

Titel: Kühlfach betreten verboten
Autoren: Jutta Profijt
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Karre gegen die Wand gefahren hat«, stellte ich das Offensichtliche fest.
    »Nein.« Natürlich kam der Widerspruch von der Zahnspange. »Frau Akiroglu, das ist unsere Lehrerin, wurde absichtlich von der Straße abgedrängt   – und dann hat der Mann sie mitgenommen.«
    »Welcher Mann?«, fragte ich verwirrt. »Ein Sanitäter?«
    »Doch kein Sanitäter, die sind ja weiß! Es war ein schwarzer Mann mit einer Kapuze. Er hat sie entführt.«
    Die Göre sah eindeutig zu viel ›Tatort‹. Da passieren solche Dinge. In echt nicht. In der Realität werden Autounfälle von mehreren Faktoren verursacht. Erstens, zweitens und drittens: Alkohol. Viertens: Sekundenschlaf. Fünftens: Suchen der Kippe im Fußraum des Beifahrersitzes oder Fummeln an der Person auf dem Beifahrersitz oder befummelt werden von der Person auf dem Beifahrersitz. Sechstens: Ach, was weiß ich. Die Liste lässt sich sicherfortsetzen, Tempolimitfetischisten werden irgendwann die berühmte unangepasste Geschwindigkeit aus der Fahrradtasche zaubern, aber nie, wirklich niemals, habe ich gehört, dass ein Lehrerinnenfräulein mit vier Blagen im Gepäcknetz von der Straße gedrängt und entführt worden ist.
     
    »Was machen wir denn jetzt nur?«, flüsterte Jo nach einer Weile.
    »Ich will nach Hause«, jammerte Niclas.
    »Gute Idee«, sagte ich. »Und tschüss.«
    Ich erwartete, dass die Zwerge verschwanden, aber sie waberten weiter um mich herum.
    »Was?«, fragte ich genervt.
    »Ich will richtig nach Hause«, jammerte Niclas. »In mir drin.«
    »Na dann rein mit euch in eure Körper, die Sehdeckel hoch und ab nach Hause«, schlug ich vor.
    Um mich herum entstand Bewegung, Drängeln, Stöhnen und dann enttäuschtes Kopfhängenlassen.
    »Das geht nicht«, sagte Jo. »Ich kann zwar ganz nah ran, aber ich komme nicht rein.«
    »Okay, das wird schon wieder.
Hasta la vista
«, sagte ich und drehte ab.
    Um acht fingen im Kino die guten Filme an, da wollte ich dabei sein. Noch war ausreichend Zeit, also zockelte ich langsam in Richtung Popcorntempel in dem beruhigenden Bewusstsein, die Quengelgang abgehängt zu haben, aber dann merkte ich, dass sie an mir klebten wie Kaugummi unter den Schuhsohlen. Ich stoppte entnervt.
    »Was wollt ihr von mir?«, fragte ich.
    »Bist du der liebe Gott?«, fragte Niclas.
    Häh? Sah ich etwa so aus?
    »Na ja, eigentlich nicht. Aber sonst ist ja hier keiner«, flüsterte er.
    »Hör mal zu, du Nullchecker. Ich bin nicht der liebe Gott, den gibt es nämlich gar nicht. Hier bei mir gibt es auch sonst keine Spielverderber wie Lehrer, Bullen oder Mütter. Wir können also tierisch die Sau rauslassen   – äh, damit meine ich nur die über achtzehn. Ihr Welpen geht zurück zu den Sanitätern. Die kümmern sich um euch.«
    Ich spürte ihre Unentschlossenheit.
    »Ich bleibe bei dir«, sagte der Türke. »Du weißt, was abgeht.«
    Auf gar keinen Fall, dachte ich. Die Mistkäfer rückten näher. War ich Säuglingsschwester, oder was? Jetzt musste ich mir etwas einfallen lassen.
    »Das geht nicht«, rief ich. »Ihr müsst bei euren Körpern bleiben.«
    Damit hatte ich die vier Fragezeichen vor mir.
    »Ihr müsst bereit sein, jederzeit wieder in eure Körper zurückzukehren.«
    »Häh?«, brummte Bülent.
    »Pass mal auf, Kümmelchen«, sagte ich jetzt schon wirklich angenervt. Hoffentlich wachten die Kids unten auf dem Asphalt bald auf, damit ich meine himmlische Ruhe wiederbekam. »Ihr liegt da unten im Koma oder so was in der Art, jedenfalls seid ihr nicht tot.«
    Das Wort
tot
schockte sie total, offenbar hatten sie diese Möglichkeit nicht einmal in Erwägung gezogen.
    »Die Sanis kriegen das wieder hin, da bin ich mir ganz sicher, und dann müssen die Seelchen ruckzuck zurück in den Körper. Von null auf hundert in null Komma nix, wenn du kapierst, was ich meine.«
    »Und wenn nicht?«, fragte Bülent.
    »Dann bist du tot.«
    Kurze Pause.
    »So wie du?«, fragte das Edelfräulein.
    Schnellmerkerin.
    »Also warst du zu langsam«, trötete Jo.
    Das ging jetzt aber zu weit. »Nee, ich wurde ermordet.«
    Atemloses Schweigen.
    Da waren sie baff, die kleinen Hosenscheißer. Damit hatten sie nicht gerechnet. Ich war ganz schön stolz auf mich. Ermordet zu werden ist nämlich was ganz Besonderes. Statistisch gesehen schaffen das die wenigsten. Die meisten Leute krepieren einfach als Motorradfahrer im Gegenverkehr, als Chemieunfall in der Krebsklinik oder als Pflegefall im Altenheim. Nur die wirklich Wichtigen werden umgebracht. So wie
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