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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod
Autoren: Peter Oberdorfer
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interessierte, künstlich in die Länge zu ziehen. Er schien die Initiative behalten zu wollen, ohne zu wissen, worauf er mit dieser Initiative hinauswollte. Ja, der leichte Widerwille, den ich gegen Mannlechner empfand, rührte daher, dachte ich. So wie die Sache lag, war Mannlechner vor der Mühlbacherin mit der Leiche in Berührung gekommen. Entweder hatte er den Kreuziger selbst umgebracht oder er hatte den Mord beobachtet oder - und auch das war möglich - er hatte die Leiche im Wald lediglich entdeckt. Warum aber ließ er sich als Entdecker der Leiche verleugnen und wollte, dass die Mühlbacherin für ihn log? Ich hatte heftig zu schnaufen begonnen und schwitzte, weil die Sonne scharf auf mich herabstarrte. Die Stufen, die zu Mann- lechners Haus hinaufführten, waren immer steiler und so schmal geworden, dass ich vereinzelt überhaupt nur mehr mit den Zehen auftreten konnte, was den Auf-stieg noch gefährlicher machte. Zwischen mir und der Straße war nämlich nichts, nur der Abgrund. Manchmal hörte ich senkrecht unter mir ein Auto vorbeifahren und mir fiel auf, dass die Entfernung das Geräusch eigenartig weich und rund machte. Die Härte des Asphalts war in dem Rauschen der Reifen nicht mehr zu hören. Wie weit also war ich schon hinaufgestiegen? Nicht umdrehen, sagte ich mir. Dreh dich nicht um. Ich hob stattdessen den Kopf und schaute hinauf. Immerhin, der Hof Mannlechners war schon sichtbar, aber wie weit war er immer noch entfernt! Es schien, dass die Glätte und unglaubliche Steilheit der abgemähten Wiesen in Verbindung mit der Geradlinigkeit des Weges den Sinn für Entfernung verwirrte. Von der Straße aus war mir der Weg zu Mannlechner kürzer erschienen als jetzt, da ich wie ein Bergsteiger in einer schwierigen Wand hing und schon ein beträchtliches Stück des Weges hinter mir hatte. Wie viel des Weges aber? Da konnte ich nicht anders und drehte mich um. Der Anblick war entsetzlich. In keinem meiner Alpträume war ich je vor einem solchen Abgrund gestanden. Er drehte sich und entwickelte augenblicklich eine gefährliche Sogwirkung. Und diese Situation war wirklich, daraus gab es kein rettendes Erwachen, nach dem man sich schweißgebadet im Bett wiederfand. Es gab nur diese Lage. Ich konnte mich nicht einmal mehr hinsetzen, weil die schmalen Stufen mir dazu nicht genügend Platz ließen. Alles, was ich getan hatte, war, die Treppen zu einem einfachen Bauernhaus hinaufzusteigen! Ich schaute nach unten und versuchte den Engel auszumachen, als könnte er mich retten. So weit konnte ich doch noch nicht gestiegen sein, dass das Auto da druntennicht mehr zu sehen war, dachte ich. Aber da war kein Auto. Kein Zweifel, der Engel hatte mich im Stich gelassen. Eigenmächtig hatte er die Stelle, an der er mich erwarten sollte, verlassen. Die Versuchung, ihn jetzt für alles verantwortlich zu machen, war groß, aber es gelang mir, mich zu beruhigen. Hinunterzusteigen ist zu gefährlich, sagte ich mir, du musst weitergehen! Je länger du hier herumzitterst, desto stärker wird die Anziehungskraft des Abgrunds, und irgendwann wird die Schwerkraft dich vom Berg herunterholen. Ich wandte mich wieder dem Hang zu, ließ mich nach vorn fallen, sodass sich meine Bodenhaftung durch Zuhilfenahme der Hände verbesserte. Dann begann ich wie ein Hund zu laufen, am Anfang langsam und dann immer schneller. Mein Keuchen kam wie von anderswoher. Dass mir die Zunge aus dem Mund hing und dass mir wohl auch der Speichel aus dem Mund rann, kümmerte mich nicht, ja, am liebsten hätte ich alle Kleider abgestreift wie eine alte Haut und wäre nackt weitergelaufen. Meinen Kopf ließ ich herunterhängen, ich lief und lief und lief, und irgendwann war der Moment da, wo ich fühlte, dass ich stehen bleiben musste, dass ich nicht mehr weiterkonnte. Ich war mir sicher, dass mein Ziel ganz nah war, ich hob den Kopf und - da war es, Mannlechners Haus, keine zehn Meter mehr entfernt. Ich stand auf und schämte mich ein wenig. Ein Blick über die Schulter den Hang hinab ergab, dass ich einfach nur eine lange Stiege hinaufgegangen war, sonst nichts, und unten verlief eine Straße. Es war Mittag und vom Holzbalkon des Mannlechner'schen Hauses war ein Klappern und Klirren zu hören. Jemand, es musste Mannlechner selbst sein, aß im Freien zu Mittag und hatte mir bei meinem Aufstiegzugeschaut. Wie schroff die Wände von Mannlechners Haus aus der Wiese herauswuchsen! Das Haus hatte keinerlei Vorgarten, unvermittelt wie eine Klippe stand es im
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