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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod
Autoren: Peter Oberdorfer
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geschickt einfädeln, wenn man will, dass er überhaupt den Mund aufmacht. Nicht dass ich glaube, dass du dazu nicht in der Lage wärst, keineswegs. Ich befürchte aber, dass er sich durch unsere Überzahl, durch ein bloßes Auftreten zu zweit, unter Druck gesetzt fühlen könnte, sodass alles Reden nichts nützt, er gar nicht richtig zuhört und nur abblockt.«
    »Das ist in der Tat möglich«, gestand der Engel zu. »Bitte, versuchen Sie Ihr Glück.«
    Ich öffnete die Wagentür und machte mich daran, auszusteigen.
    »Aber wenn Sie mit Ihrer Methode scheitern, erlauben Sie dann, dass auch ich einen Alleingang unternehme und meine Methoden anwende?«
    »Ich werde nicht scheitern, Engel.«
    Ich muss gestehen, dass ich vor diesem Besuch überhaupt noch nie in Mannlechners Haus gewesen war. Als ich den Punkt erreichte, an dem der schmale Steig begann, gewahrte ich zu meinem Erstaunen, dass der Hof hinter der Steigung des Hanges verschwunden war. Der Steig entpuppte sich als ein Ineinander von Treppen, die aus Holzpfählen und daran befestigten Brettern bestanden. So schien eine gewisse Sicherheit des Aufstiegs gewährleistet. Geländer allerdings gab es keines, und was auch fehlte, waren Unterbrechungen der Treppen durch flache Passagen, zum Verschnaufen oder auch, um einen möglichen Sturz aufzufangen. Es konnte ja nicht weit sein, dachte ich und nahm den Aufstieg unbekümmert in Angriff. Schon auf den ersten Stufen trat ich in den Bannkreis der Mannlechner'schen Existenz ein und begann augenblicklich über ihn nachzudenken. Mannlechner war einer der wenigen im Dorf, über die nicht geredet wurde und über die kaum Gerüchte kursierten. Wenn man seinen Namen aussprach, fiel einem überhaupt nichts ein, nur dass er durch sein Künstlertum von allem ausgenommen war. Man hörte auch nichts Gutes über ihn, und der Ruhm, ja, man konnte es schon sagen, der Ruhm, den sich Mannlechner im Lauf seines Lebens im Land erarbeitet hatte, galt hier im
    Dorf gar nichts. Mir wurde, wie ich so über ihn nachdachte, bewusst, dass Mannlechner von niemandem gehasst wurde. Es war beneidenswert, nicht in das allgemeine Gewirr von Interessen, Verbindlichkeiten, Schuld und Hass, das die anderen seit Jahrhunderten wie Pech und Schwefel zusammenhielt, eingespannt zu sein. Ich schnaufte ein paarmal und war erstaunt, schon nach wenigen Minuten des Gehens so weit über die Straße hinausgehoben zu sein. Uhhh! Ein kleiner Schwindel fasste mich an. Zum Bergsteigen war ich nicht geeignet, ich hatte Höhenangst, ich wusste es, aber die Angst rührte sich zunächst nur unmerklich, wie ein Schläfer, der sich murmelnd umdreht. Und doch - es ging kerzengerade hinab, ganz unten, schwarz und pickelhart, lag die Straße. Das Bild verdrehte sich, Schwindel setzte ein. In meinem Magen machte sich ein flaues, prickelndes Gefühl breit. Meine Knie gaben nach, und ich sank auf die Stufen. Eine feuchte Hitze überkam mich, das war der Angstschweiß. Ich konnte sehen, wie der Engel unten am Polizeiauto lehnte, das nur mehr so klein war wie mein Daumennagel, und offenbar seelenruhig zu mir heraufschaute. Du gehst ruhig weiter und drehst dich nicht mehr um, bis du ganz oben bist, sagte ich mir und stand wieder auf. Bei den ersten paar Schritten spürte ich noch, wie weich meine Knie waren, dann setzten die Gedanken zum Thema Mannlechner wieder ein. Meine Beziehung zu ihm war sonderbar. Wir kannten uns nur aus der Ferne und hatten uns doch sehr genau ins Visier genommen. Er war Künstler und ich der hierherversetzte Polizist. Dadurch, dass wir beide aus dem Zusammenhang der Ortsgemeinschaft herausgehoben waren, schienen wir dazu prädestiniert, uns nä-herzukommen. Wenn wir einander über den Weg liefen, grüßten wir uns wie zwei, die in einer ähnlichen Lage waren. Die Vertraulichkeit, die sich zwischen uns eingespielt hatte, blieb aber im Ungefähren. Sie wurde nie durch ein langes Gespräch oder wechselseitige Besuche gefestigt. Mannlechner schien eine solche Annäherung nicht zu wollen, oder er wollte sie und zierte sich nur, weil er aus seinem Abstand nicht herauskonnte. Es war jedenfalls so, dass wir uns im Lauf der Jahre erstaunlich oft zufällig über den Weg gelaufen waren und bei diesen Gelegenheiten das eine oder andere Gespräch geführt hatten. Und mir war aufgefallen, dass Mannlechner das eine Mal ein Gespräch, das ihm zu lang wurde, mit einer ironisch knappen Bemerkung abbrach, um das nächste Mal ein Gespräch, das mich nicht besonders
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