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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod
Autoren: Peter Oberdorfer
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waren. Damals bei der Ausbildung hatte man uns gesagt, dass solche Geschichten wie die mit dem Kopf, der gegen die Tischplatte kracht, einfach passieren. Dass sie passieren, sei zwar gesetzlich nicht gedeckt, aber allen sei klar, dass der Umgang mit Verbrechern einer sein müsse, der der Gewaltbereitschaft dieser Leute entspreche. Wichtig sei dabei, so hatte man uns gesagt, nicht die Nerven zu verlieren. Denn wenn einmal einer tot am Boden liegt oder sehr schwer verletzt ist, kommen die Zeitungen daher, und dann können schon allein wegen der Optik Disziplinarstrafen nicht ausbleiben. Als ich sah, dass der Engel jetzt mit einem Schneidbrett und einem schweren Fleischermesser zum Tisch zurückkam, schien die Gefahr einer Übertreibung gegeben. Die Mühlbacherin wirkte ohne Zähne um ein paar Jahrzehnte älter. Als der Engel das Schneidbrett mit dem Messer vor sie auf den Tisch legte, warf sie nur einen kurzen, verächtlichen Blick darauf.
    »Du lügst, du sagst uns nicht die Wahrheit, Mühlbacherin«, sagte der Engel mit sanft schnurrender Stimme, als redete er mit einer Katze. »Du hast uns lange an der Nase herumgeführt, und jetzt, das musst du verstehen, reicht es uns. Hier geht es um Mord. Wir wollen den Mörder fangen und du musst uns dabei helfen. Du hast keine andere Wahl, du musst.«
    Die Mühlbacherin senkte den Blick. Zitterte ihr Kopf oder nickte sie?
    »Wenn du glaubst, dass du Widerstand leisten kannst, werden wir diesen Widerstand brechen. Wir haben das Recht auf unserer Seite.«
    Der Kopf zitterte oder nickte stärker. Meine Befürchtung war, dass es ihr durch das Krachen des Kopfes ge-gen die Tischplatte die Sprache verschlagen haben könnte, sodass sie jetzt nichts mehr herausbrachte. Auch wenn sie gewollt hätte. Ihre Kiefer arbeiteten, aber es kam kein Laut heraus.
    »Du lässt mir keine andere Wahl«, sagte der Engel, dessen Stimme jetzt erregt klang. Er nahm ihre kraftlose Hand und legte sie auf das Schneidbrett.
    »Ich werde dir erst einmal alle Finger einzeln abschlagen und dann, wenn du noch immer nicht den Mund aufgemacht hast, die Hand.«
    Er nahm das Messer und holte aus. Jetzt wurde seitens der Mühlbacherin ein Wimmern laut, ihre Lippen öffneten sich und aufgeregte Laute erfüllten den Raum. Wollte sie uns etwas sagen? Der Engel legte das Messer auf den Tisch und schaute mich ratlos an.
    »Willst du reden?«, fragte er.
    Sie nickte heftig.
    »Dann red!« Um die Lippen des Engel spielte ein verächtliches Grinsen.
    Bei der Mühlbacherin begann wieder das Jammern und Singen und Gestikulieren. Sie neigte den Kopf seitwärts und legte ihn auf die gefalteten Hände.
    »Was? Schlafen willst du?« Der Engel lachte und nahm das Messer wieder zur Hand.
    Die Mühlbacherin schüttelte wild den Kopf.
    »Dann red oder ich schlag dir gleich den ganzen Kopf ab!«
    Jetzt wurden die Augen der Mühlbacherin nass, die Bewegungen des Körpers verringerten sich und ihre Aufregung schien sich ins Innere, Unsichtbare hinein- zuverlagern. Tränen bildeten sich in den Augenwinkeln und rannen ihr übers Gesicht.
    »Sie kann doch nichts sagen ohne ihre Zähn!«, schrie der Alte. »Lasst sie doch in Ruh!«
    Jetzt richtete die Tochter an den Vater allerhand Gebärden, und der schien zu verstehen.
    »Im Schlafzimmer hat sie noch ein altes Gebiss. Das will sie holen.«
    »Hol das Gebiss!«, schrie der Engel sie an.
    Sie verließ den Raum und kam mit Gebiss zurück. Als sie sich niedersetzte, erreichte der alte Mühlbacher die Tür zum Wohnzimmer und öffnete sie. Er schien an unserem Verhör kein Interesse zu haben.
    »Also? Unsere Geduld ist beinahe zu Ende«, sagte der Engel scharf.
    »Es stimmt, es stimmt. Sie haben recht«, sagte die Mühlbacherin an mich gewandt, als fühlte sie sich bei mir besser aufgehoben als beim Engel.
    »Ich habe Ihnen nicht alles gesagt. Es ist nur eine Kleinigkeit, die ich verschwiegen habe.«
    Sie sprach sehr undeutlich, lallte wie eine Betrunkene.
    »Bitte, Frau Mühlbacher«, sagte ich freundlich. »Öffnen Sie Ihr Herz.«
    »Ich habe die Leiche gar nicht gefunden.«
    »Soso.«
    »Es war der Mannlechner. Wie ich durch den Wald gegangen bin, hab ich den Mannlechner da unten sitzen und zeichnen gesehen. Ich ruf hinunter >Grüß Gott< und der Mannlechner hat mich nur lange angeschaut, ohne den Gruß zu erwidern. >Der Kreuziger heut nicht bei der Arbeit?< oder so was Ähnliches hab ich hinuntergerufen. >Kommen S' her<, hat der Mannlechner gesagt. >Kommen S' runter, schaun S', der Franz
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