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Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Titel: Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
Autoren: Raik Thorstad , Jannis Plastargias , C. Dewi , Gerry Stratmann
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Spiel. Zu gefährlich, als dass ich es freiwillig
hier
spielen würde.
    Ich sehe ihm in die Augen, unnachgiebig. Denn das ist kein Flirt mehr. Meine Unsicherheit fällt von mir ab, wird davongetragen von Wut und ja, auch Enttäuschung.
    Er atmet hörbar aus, seine Schultern sacken etwas herab. Mit einem Mal sieht er klein aus.
    „Es sind Samen.“
    „Du meinst Saatgut?“, frage ich erstaunt. „Drogen?“
    „Nein, keine Drogen.“ Er klingt resigniert, dann schüttelt er ärgerlich den Kopf, als er meinen zweifelnden Blick bemerkt. „Das ist die Wahrheit!“
    „Ich denke, du verstehst, dass ich da so meine Zweifel habe.“
    Er stopft seine Hände tief in die Taschen seiner Jeans, scharrt mit einem Fuß über den Asphalt.
    „Die Geschichte mit meinem Job in dem Hostel … es ist etwas mehr als ein Aushilfsjob. Und es ist auch eher ein Hotel als ein Hostel. Ich kann dort die Küche
übernehmen. So eine Chance bekomme ich nie wieder, schon gar nicht in Deutschland, wo ich ohne Ausbildungsabschluss am Arsch bin. Dabei bin ich gut, kein Sternekoch, aber gut. Ich habe zwei
Jahre mit einem Inder zusammengearbeitet, er hat mir viel beigebracht. Ich kann dort meine ganz eigene Sache aufmachen, Fusion-Küche, schon mal gehört?“ Seine Mimik wird nun
lebendig, er zieht die Hände aus den Hosentaschen und gestikuliert. „Das ist eine Mischung aus ganz verschiedenen Kochstilen, das gibt es bisher in Valparaíso nicht. Ich will
Produkte nutzen, Pflanzen, Gemüse, Kräuter, die hier in Chile fast in Vergessenheit geraten sind. Aber nicht allein, sondern ich will das mit anderen Elementen und Einflüssen
mischen, französische Küche, indische, asiatische.“ Er stockt, blickt mich direkt an. „Aber viele der Dinge, die ich dafür brauche, gibt es hier nicht, oder sie sind
verdammt teuer.“
    Ich habe keine Ahnung, von was er redet, aber eines erkenne ich genau: Er hat Angst. Angst, seine Chance verspielt zu haben.
    „Und wozu brauchst du das Saatgut?“
    Er zieht die Brauen zusammen, sodass sich seine Stirn in Falten legt. „Weil ich mir nicht alle Nase lang ein Paket mit Gewürzen und Kräutern schicken lassen kann, abgesehen
davon, dass sie im Zoll hängen bleiben und auch nicht frisch sind.“
    „Du willst das Zeug anbauen.“
    Er nickt stumm, beißt sich auf die Unterlippe. Scheiße, verdammt, er soll aufhören, so … so auszusehen. Er dämmt meine Wut ein.
    Wortlos wende ich mich dem Inhalt des Containers zu und beginne, den Weg zum Karton Nummer 47 freizuräumen. Meine Gedanken wirbeln umher, aufgekocht mit unerwünschten Gefühlen.
Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man eine Chance bekommt. Und ebenso weiß ich, wie der Magen und das Herz absacken, einen in einen schwarzen, bodenlosen Schlund reißen,
taumelnd, in dem Moment, da man seine Chance verloren glaubt.
    Die Stimme meiner Kollegin klang ungläubig an jenem Abend vor zwei Jahren:
„Julian?“
    Sie wurde fast verschluckt vom Regen, der auf die Blechdächer prasselte, sich sammelte und die Straßen in gurgelnden Bächen hinab sprang. Ein warmer Körper an meinem,
Feuchtigkeit, Atem. Ein betrunkener Kuss, leichtsinnig. Fatal. Die darauf folgende Nacht verbrachte ich schlaflos. Es hätte des Matetees nicht bedurft, um mich an mein Versagen zu erinnern.
Ich tigerte in dem Zimmer auf und ab, das ich damals bewohnte. Der Gang zur Arbeit war eine Tortur. Ich dachte, ich würde meinen Job verlieren, würde zurückkehren müssen in die
Población
mit ihren schlammigen Straßen. Der gefallene Sohn einer gefallenen Tochter. Gerede, Getuschel, Anfeindungen.
Maricón
– Schwuchtel. Doch nichts
geschah. Die Kollegin schwieg.
    Ich habe heute noch Angst vor ihr.
    Ich bin verschwitzt, als ich endlich zum Karton durchkomme. Mit einem Schnaufen hole ich ihn heraus und öffne ihn im Tageslicht. Chimichurri drängt heran und möchte ihre Nase am
liebsten in den Fund drücken, doch ich halte sie mit einem kurzen Befehl davon ab. Sie spürt meine unterdrückte Wut, meine Hilflosigkeit. Mit einem leisen Fiepen zieht sie sich
zurück. Der Karton enthält Päckchen, die in transparentes Plastik eingeschweißt sind. In den Päckchen befinden sich Tüten mit Samen. Obwohl ich die deutschen
Bezeichnungen nicht lesen kann, machen die Tütchen den gleichen Eindruck wie diejenigen mit Saatgut, die man hier im Baumarkt oder Gartencenter erwerben kann. Was nicht heißt, dass die
Dinger echt sind. Verdammte Scheiße. Das könnten Drogen sein oder irgendein anderer
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