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Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)

Titel: Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
Autoren: Raik Thorstad , Jannis Plastargias , C. Dewi , Gerry Stratmann
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den dürften die paar Tage doch nicht ins Gewicht fallen, oder?
    Erst, als Romero blass wird und die Lippen aufeinander presst, fällt mir auf, dass ich diesen Gedanken ausgesprochen habe. Im selben Moment tut es mir leid. Es ist nicht angebracht, und
wäre mein Chef hier, würde er mich dafür zusammenfalten. Ich setze gerade zu einer Entschuldigung an, da fällt er mir ins Wort.
    „Doch, jeder Tag mehr ist ein Tag zu viel. Der Umzug ist knapp kalkuliert, und ich bekomme allmählich Probleme“.
    Sein Gesicht ist ernst, und ich frage mich, wie alt er ist. Zu Beginn unseres Gesprächs hätte ich ihn auf Mitte zwanzig geschätzt, aber nun bin ich mir nicht mehr sicher. Da ist
ein harter Zug um seinen Mund, der ihn auf einmal älter wirken lässt. Ich hebe bedauernd die Schultern, doch auch dieses Mal unterbricht er mich, bevor mir eine Floskel entkommen
kann.
    „Bitte.“ Er legt den Kopf leicht schief. „Könnten wir den Container nicht heute öffnen?“
    Er spricht zu leise. So leise, dass ich mich doch zu ihm beuge, meine Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt. Wie zwei Schuljungen, die ein Geheimnis teilen, stecken wir die Köpfe
zusammen. Wie ein Junge fühle ich mich jetzt, verunsichert – und gleichzeitig unverwundbar, verwegen. Wenn ich mich noch etwas weiter vorbeugen würde, könnte ich seinen
Atem spüren. So aber nehme ich Romeros Geruch wahr, ganz deutlich, es ist keine Einbildung. Er hüllt mich darin ein. Ein Sonntagsduft. Ein Geruch der guten Jahre, in denen meine Mutter
Arbeit hatte und im gusseisernen Herd vor der Hütte das Brot buk, knusprig und warm. Jahre, in denen die Mateblätter in der Blechdose zu grauem Staub zerbröselten. Das Grün
seiner Augen ist ein Garten, angefüllt mit der Hitze eines Sommertages. Der Garten, der Nahuels Großmutter gehörte, weit oben auf den Hügeln, dort, wo die letzten
Ausläufer der
Población
in den Pinienwald übergehen. Man kann dort fast vergessen, dass sich unter einem ein Meer aus Hütten und Häusern erstreckt. Ich habe es
damals getan, für einen Augenblick, zwischen Gemüse- und Kartoffelbeet, die Haut salzig vor Schweiß. Auch Nahuels Lippen schmeckten salzig an diesem Tag … bis zu dem
Moment, da wir auseinander schraken.
    Nicht hier
.
    Ich ziehe mich so schnell zurück, dass es Romero auffallen muss. Ihm und meinen Kollegen. Diesmal kann ich nicht umhin, mich umzusehen. Miguel und Andrey sind beschäftigt, allein
María Paz sieht neugierig hinüber. Verdammt! Ich muss Romero hier raus befördern, zu sehr und vor allem zu offensichtlich verunsichert er mich. Meine Gedanken rasen. Genervt
schüttele ich den Kopf.
    „Wir arbeiten wegen des Feiertags heute in Unterzahl, das betrifft auch die Kontrolleure der Container.“
    Er bleibt stumm, schürzt die Lippen. Mir wird warm. Dann nickt er schließlich.
    „Gut.“
    Seinem Tonfall entnehme ich, dass gar nichts gut ist.
    „Wenn der Container begast werden muss, kommen weitere Kosten auf Sie zu“, kläre ich ihn auf.
    „Wie viel?“, knurrt er mehr, als er fragt.
    „Etwa vierhunderttausend Peso. Die Miete für den Container und die Stellgebühren nicht eingerechnet.“ Das ist mehr als die Hälfte meines monatlichen Einkommens.
    Er scheint die Summe im Kopf zu überschlagen, dann werden seine Augen groß. „Das sind fast siebenhundert Euro!“ Er schüttelt den Kopf, dann flucht er, allerdings auf
Deutsch, was ich leider nicht verstehen kann. Sein Ausbruch dauert nicht lange, dann hat er sich wieder im Griff.
    „Danke für die Auskunft.“ Mit diesem Satz erhebt er sich und bedenkt mich mit einem letzten kühlen Blick.
    „Warten Sie.“
    Was zum Teufel tue ich da? Meine Handflächen werden feucht.
    „Setzen Sie sich“, weise ich ihn recht barsch an.
    Ich greife zum Telefon und wähle Ricardos Nummer. Es dauert ewig, bis er abnimmt. Ich sehe bewusst auf die Unterlagen, schnappe mir einen Kugelschreiber, den ich nutzlos zwischen meinen
Fingern herumrolle. Ein kurzes Gespräch mit dem Vorarbeiter der Kontrolleure bestätigt mir, was ich längst weiß: Die Jungs sind mitten in der Kontrolle der Fracht der
Chinese Dream
, eines großen Containerschiffs, das seit gestern entladen wird. Ein Blick zu Romero zeigt, dass auch er aus dem kurzen Wortwechsel die richtigen Schlüsse zieht. Er
sieht frustriert aus.
    Während Ricardo sich von mir verabschiedet, kommt mir ein Gedanke, von dem ich nicht weiß, ob er absolut töricht ist. Denn ich bin mir der neugierigen Blicke von María
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