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Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
Autoren: Susan Fraser
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dem wir gelandet waren - ein kleines, verlorenes Nest namens Lherm.
    Wir waren verloren. Lost in Lherm.
    Selbst durch ein Vergrößerungsglas betrachtet, ist Lherm nur ein Pünktchen auf der Landkarte, mitten im Nichts. Man fährt und fährt über lange gewundene Landstraßen, über kleine Straßen, die immer schmaler werden, bis sie in holprigen, überwucherten Feldwegen enden, gesäumt von wiesen und Hügeln, von einer grünen Idylle, und schließlich ist man in Lherm - Ende der Straße, letzte Station. Wieder Weg kommt man nur auf demselben Weg, den man hergefahren ist, denn hinter dem Dorf gibt es nur noch Wald. Ein Paradies, sagen Sie?
    Zugegeben, als wir an einem Abend Anfang Mai zum ersten Mal die schmale, unbefestigte Straße hinauffuhren, an einer Wiese entlang, die von Apfelbäumen gesäumt war und mitten ins Dorf führte, habe ich das auch gesagt.
    In diesem friedlichen kleinen Kaff schien die Zeit stillzustehen. Es war eine Ansammlung von alten Steinhäusern, die zu einem rosigen Weiß verblichen waren, mit Fensterläden in verblasstem Stahlblau, der Farbe des Himmels an einem bewölkten Tag. Ringsum verwahrloste Gärten, in denen Apfelbäume wuchsen und Hähne umherstolzierten. Die mittelalterliche Kirche thronte wie eine Tiara auf dem erhöhten Platz - der ganze Stolz des Dorfes. Wir spazierten über schmale Fußwege, gesäumt von Stockrosen, deren riesige Stängel majestätisch hoch aufragten. Dicke Hummeln umschwärmten die blutroten Blüten, träge von einem Blütenkelch zum nächsten summend, selig berauscht vom Pollen.
    Wir suchten nach einem alten Haus, dem Gebäude auf dem Foto, das der Makler uns mitgegeben hatte - dem Haus, hatte er erläutert, das früher als Café und Postamt des Dörfchens gedient hatte, mit rosa und violetten Hortensien davor. Dort hatten die Einheimischen die alte Madame Rosière um Heilkräuter gebeten oder, wenn dergleichen Mittel versagten, an der Theke einen Ricard getrunken, »de toute façon le meilleur remède«, ohnehin die beste Medizin, wie der Makler schmunzelnd gemeint hatte. Und da stand das Haus, etwas versteckt hinter der Kirche. Im Zwielicht glühte der Stein rosarot.
    Monatelang hatten wir nach einem Haus gesucht.
    Wir spazierten den Weg hinauf, der auf der anderen Seite aus dem Dorf hinausführte, zum Wald hin, vorbei an einem überwucherten Friedhof oben auf dem Hügel. Manche Grabsteine waren schon vor langer Zeit umgestürzt und lagen jetzt zum Teil unter Grasbüscheln begraben. Die Inschriften waren unter jahrhundertealten Flechten versteckt, welche die Steine mit ihrem grün und weiß überzogen. Dort oben setzten wir uns auf die Mauer und schauten zurück auf das Dorf und über das ganze Tal hinweg, das in sattem blutorangerotem Licht leuchtete, denn die Sonne versank gerade hinter dem Hügel. Es war, als blicke man durch ein farbiges Glasfenster - wie das Buntpapier zu Weihnachten.
    Da drehte ich mich zu Marc um. »Das ist es.«
    Er nickte. Ich merkte, dass er genauso fühlte wie ich - Lherms verschlafener Zauber zog uns beide an, schlug uns beide in seinen Bann.
    Das Problem ist nur, dass es gute und böse Zauber gibt. Und manchmal, wenn man zu sehr sucht, wenn man nach etwas sucht, das man verloren hat, dann erkennt man den Unterschied nicht.
    Aber ich greife vor. Ich muss erst erklären, warum es uns überhaupt dorthin verschlagen hat, warum wir in Lherm gelandet waren, am Ende der Welt.

2
 
    I ch habe meinen Vater nicht gekannt. Er starb vor meiner Geburt. Meine Mutter ist nie richtig darüber hinweggekommen. Der Schmerz über den Verlust machte sie hart, er trübte ihre Sicht auf das Leben, auf mein Leben.
    »Es hat keinen Sinn, von Schicksal oder Unglück zu reden«, sagte sie oft. »Du bist selbst deines Glückes Schmied, Annie MacIntyre.«
    Mit zunehmendem Alter lernte ich jedoch, dass es einige Dinge im Leben gibt, die man nicht selbst in der Hand hat. Manches geschieht einfach, vollkommen unabhängig davon, was man vielleicht getan oder unterlassen hat. Zum Beispiel, dass Marc seinen Job verlor.
    Damit fing alles an. Wir lebten in Australien. Und Marc wurde entlassen. Ich erinnere mich gut daran - als wir von Toulouse nach Hause fuhren, war es auf den Tag genau zwei Jahre her.
    »S'il te plaît, Annie, ich habe meinen Job nicht verloren«, behauptet Marc gern. »Alsttel hat mir ein Angebot gemacht. Sie haben uns allen ein Angebot gemacht, und ich habe angenommen. C'est tout.«
    »Der Mann ist ein Verdrängungskünstler, Mummy«, sagte
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