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Komm wieder zurück: Roman

Komm wieder zurück: Roman

Titel: Komm wieder zurück: Roman
Autoren: Deborah Reed
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sie kalt erwischt. Ihre Gedanken kehren zu jenem ersten Mal zurück, als sie jemanden, den sie liebte, verloren hat. Sie und Calder sind zwölf und elf, Onkel Calder wischt ihr die Tränen ab, tätschelt ihr den Kopf mit seiner Riesenpranke, nachdem er Blumen auf das Grab ihres Vaters gelegt hat. »Das wird schon wieder gut, Spatz«, sagt er immer wieder. Es klingt ihr noch im Ohr wie aus weiter Ferne.
    »Er wird auch nicht jünger«, sagt Calder.
    Es dauert eine Weile, bis das bei ihr ankommt.
    »Hast du was dagegen, wenn wir uns eine Minute auf die Veranda setzen?«, fragt Calder.
    Sie blickt auf die mittlerweile sonnendurchflutete Veranda, auf den leeren Stuhl, wo sie hatte frühstücken wollen. Müsli, frischen Joghurt und Brombeeren vom Markt. Mehr als genug für zwei, aber sie bietet nichts an, weder dies noch etwas anderes. Nicht mal den Stuhl.
    Detour schleppt sich auf die Veranda, lässt sich seufzend zwischen den Stühlen nieder.
    Offensichtlich wird der Junge im Radio von einem Mann gespielt. Die Stimme wird laut und schrill vor lauter Kummer, und diese Änderung verrät ihn.
    Je eher Calder sagt, was immer er eigentlich loswerden will, desto schneller geht er wieder. Annie bedeutet ihm mit einer einladenden Armbewegung, dass er die Treppe hochkommen soll. »Es ist glatt«, sagt sie, und prompt bedauert sie den Eindruck, dass es ihr was ausmacht.
    Calder kommt auf die Veranda hinauf, nimmt aber nicht auf dem Stuhl Platz. Er setzt sich auf das Geländer und umklammert es in der Nähe seiner Hüften. Er plappert schon munter von seiner Arbeit, bevor sie ihm auf der Veranda Gesellschaft leistet. »Jedenfalls bin ich gerade dabei, diese dornigen Mistdinger auszurupfen, während Jerry mit meinen Handschuhen irgendwohin verschwunden ist. Du erinnerst dich an Jerry?«
    Annie stellt das Radio aus. Sie hat das Gefühl, neben sich zu stehen, wie sie da am Türrahmen lehnt, sie beide beobachtet, das Alltägliche ihres Geplauders, die übliche Szene. In Gesprächsführung ist er immer noch so geschickt, mühsam erlernt in der Kindheit, die von Tics gekennzeichnet war. Zwinkern, springen, mit den Füßen unter dem Stuhl baumeln. Er hat gelernt, das Thema zu wechseln, um die Aufmerksamkeit von seinem zuckenden Körper auf irgendwas anderes zu lenken, doziert über ein Bodenklassifikationsdreieck des Landwirtschaftsministeriums zur Messung sandigen Lehms, singt ein Lied von Hank Williams, sagt Kraterbildungen auf Parkplätzen voraus. Das macht er jetzt gerade, obwohl er seit Jahren keine Tics mehr gehabt hat – er springt von alten Häusern zum Beschneiden von dornigem
Prunus geniculata
, von seinem dritten Pick-up in fünf Jahren zu ihrer Unfähigkeit, irgendwas außer Unkraut wachsen zu lassen, von Onkel Calders bezahlter Teilnahme an medizinischer Forschung bis zu einer Frau, die er in der Stadt kennengelernt hat, als er den Garten der Anwaltskanzlei nebenan gestaltete: »Tja, auf die komme ich gleich noch zurück, aber zuerst …«, sagt er, und die Ebbe und Flut seiner Stimme sind so vertraut, dass Annie beginnt, sich mit ihm zu bewegen, ihr Nicken, ihr angedeutetes Lächeln ermutigen ihn, fortzufahren.
    Seine Lachfältchen haben sich vertieft. Vor allem, wenn er anfängt, von der Frau in der Stadt zu reden.
    »Sie hat eine dänische Bäckerei in der Church Street«, sagt er. »Mit den ganzen Himbeer- und Pekannuss-Kringeln und Brotpudding, die immer um sieben Uhr morgens den ganzen Block versüßen. Ich schwör dir, ihre Augen haben die Farbe von Limetten. Sie heißt Sidsel Jørgenson. Mit einem Schrägstrich durch das erste o.« Er zeichnet eine Diagonale in die Luft. »So schreibt man ihren Nachnamen auf Dänisch.«
    Annie nickt, nur ein bisschen, als Reaktion darauf.
    »Das Problem ist nur … Sidsel hat einen Ehemann, Magnus. Einen großen alten Dänen.« Er breitet die Arme aus und dann zögert er, als ob ihm zu dem Mann noch was einfällt, das er lieber nicht sagen will. »Und gemeiner als ein Tiegel voller Klapperschlangen.«
    Das klingt lustiger, als er es anscheinend beabsichtigt hat. Er hört sich wie ihr Vater an, und die leise, verhaltene Kadenz seines Lachens ist so vertraut, so schmerzlich vermisst, dass sie unwillkürlich in sein Lachen einstimmt. Sie ist sich immer noch jeder ihrer Bewegung bewusst, jedes Tons, der aus ihrem Mund kommt wie ein Bonus, den sie ihm widerwillig für eine weitere Minute in ihrer Welt gewährt.
    Während sie lacht, schüttelt Calder den Kopf in Richtung Veranda und
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