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Koerper, Seele, Mensch

Koerper, Seele, Mensch

Titel: Koerper, Seele, Mensch
Autoren: Bernd Hontschik
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am Bruttosozialprodukt, in den vergangenen
    Jahrzehnten unverändert geblieben – trotz des medizinischen Fortschritts, trotz der steigenden Zahl älterer Patienten, trotz des zweifellos möglichen
    Mißbrauchs unseres sozialen Netzes (vgl. Braun u. a. 1999). Unbestritten ist allerdings, daß es statt dessen einen Einbruch (manche sprechen auch von einem
    Zusammenbruch) bei den Einnahmen der Sozialversicherungen gibt, verursacht durch die anhaltende Arbeitslosigkeit von Millionen von Menschen, deren Beiträge
    in den Kassen der Versicherungen fehlen. Die genannte Begründung für die ›Gesundheitsreform‹ steht dennoch weiterhin im Raum, und bisher hat ›Reform‹
    bedeutet, Ausgaben zu senken, indem Leistungen der Krankenkassen gestrichen oder die Kranken selbst finanziell stärker belastet wurden, wie auch immer das
    verschleiert wurde. Eine solche ›Gesundheitsreform‹ reformiert aber natürlich nicht die Gesundheit, sondern die ökonomischen Folgen von Krankheit, indem sie
    diese wieder zu einem individuell zu tragenden Risiko macht.
    Wenn es um unser Gesundheitswesen und die dabei nötigen Reformen geht, sollte man drei Ebenen der Auseinandersetzung sorgfältig unterscheiden, nämlich erstens die gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung, zweitens den Verteilungskampf innerhalb des Gesundheitswesens und drittens den Kampf um das Paradigma, um die Leitidee, das Menschenbild der Humanmedizin.
    Die erste Ebene der Auseinandersetzung betrifft die ganze Gesellschaft. Jede Gesellschaft muß sich entscheiden, welchen Teil ihres Reichtums sie für die Gesundheit ihrer Mitglieder ausgeben will. Die daraus resultierende Summe, die vom tatsächlichen finanziellen Vermögen der Gemeinschaft und von den ihr innewohnenden Kräfteverhältnissen abhängig ist, steht für die Gesundheit zur Verfügung und ist damit die ökonomische Basis des Gesundheitswesens. Daß diese grundsätzliche Entscheidung in jeder Gesellschaft anders gefällt wird, erkennt man wiederum bei einem Blick auf die Verhältnisse in den USA: Die Zahl der Menschen ohne Krankenversicherungsschutz steigt dort immer mehr an. Im Jahr 2003 gab es 43,6 Millionen Nichtversicherte, damit waren 15,2 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung nicht versichert; das ist die höchste Zahl seit Beginn der Datenaufzeichnung 1987. Mehr als jedes zehnte Kind muß heute in den Vereinigten Staaten auf ausreichenden Krankenversicherungsschutz verzichten, in der Gruppe der Einwanderer aus Südamerika ist jeder Dritte ohne Absicherung (vgl. Meyer 2004). In einem Land wie Deutschland gibt es demgegenüber, betrachtet man die Konzeption des sozialen Netzes, zumindest in der Theorie nicht einen einzigen Menschen ohne Krankenversicherungsschutz. Die grundsätzliche Entscheidung einer Gesellschaft, was ihr die Gesundheitihrer Mitglieder wert ist, bildet also die erste Voraussetzung für eine sinnvolle Debatte um das Gesundheitswesen und wirkt sich auf jedes einzelne Mitglied dieser Gesellschaft direkt aus, entscheidet, ohne Übertreibung, über Leben und Sterben.
    Die zweite Ebene der Auseinandersetzung betrifft das Gesundheitswesen selbst. Die vorhandene Summe muß sinnvoll eingesetzt und aufgeteilt werden. Sie muß zwischen der Pharmaindustrie und der Geräteindustrie, zwischen den öffentlichen und den privaten Krankenkassen, zwischen Krankenhäusern und den niedergelassenen Ärzten, zwischen Hausärzten und Fachärzten, zwischen Forschung und Lehre aufgeteilt werden. Das Ergebnis dieses Verteilungskampfs hängt davon ab, was die Gesellschaft eigentlich unter Gesundheit versteht. Ein Beispiel: In Hessen ist in den letzten Jahren der Anteil der Gesundheitsausgaben für die ambulante ärztliche Behandlung von über 30 auf weniger als 15 Prozent zurückgegangen. Andere Bereiche sind dafür um so mehr angewachsen, zum Beispiel die Ausgaben für Medikamente. Dies hat unter anderem seinen Grund im Fehlen einer Aufstellung der sinnvollen und preiswerten Arzneimittel, einer sogenannten Positivliste. Daß diese Liste nicht vorliegt, ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen, einer politischen Entscheidung, denn tatsächlich existiert sie längst, wird aber nicht zugänglich gemacht, sondern verstaubt weiter in den Ministerial-Schubladen; der Schutz der Pharmaindustrie hat Vorrang.
    Auf der dritten Ebene der Auseinandersetzung um das Gesundheitswesen geht es um die Medizin selbst, und mit dieser Ebene befaßt sich das vorliegende Buch in erster Linie. Was ist die Medizin? Hat sie eine
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