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Königskind

Königskind

Titel: Königskind
Autoren: R Merle
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sie einem Henkerschknecht oder diesem Höllenmonschter den Schädel
     einschlagen.«
    »Kurz und gut!« sagte Poussevent, den Ton anhebend, »der Karren, so sehr er hin und her schaukelte unterm Ansturm des heulenden
     Volks, langte schließlich vor der Kirche an, wo der Elende mit einer Fackel in der Hand, im Hemd und auf nackten Sohlen Abbitte
     tun mußte.«
    »Alscho, was mich angeht«, sagte Mariette, »fand ich den Ravaillac im Hemd ja nicht so grosch und gefährlich, wie’s geheischen
     hat, schon gar nicht so stark wie mein Mann.«
    Bei diesem Lob lächelte Caboche, doch ohne ein Wort, denn |13| seine zwanzig Ehejahre hatten die Tugend des Schweigens zu seiner zweiten Natur gemacht.
    »Woher willst denn du wissen, Gevatterin«, sagte Poussevent, »daß es soviel Kraft braucht, eine spitze, scharfe Klinge ins
     Herz eines Mannes zu stoßen, wenn sein Herz so dicht unter der Haut liegt? Wir, zu unseren Kriegszeiten, sagten immer, um
     einen Stoß abzuhalten, taugt ein Büffelwams besser als ein Leinenhemd, und taugt ein Kettenhemd besser als ein Büffelwams,
     und noch besser als ein Kettenhemd taugt ein Küraß. Ist es nicht so, Herr Marquis?«
    »Richtig, Poussevent, aber faß dich bitte kurz. Greta erwartet euch in der Küche mit dem gedeckten Tisch.«
    »Gehorsamer Diener, Herr Marquis«, sagte Poussevent, indem er sich verneigte. Woraufhin Pissebœuf sich ebenfalls verneigte,
     denn obwohl er kein Wort gesagt hatte, meinte er, die Order, es kurz zu machen, richte sich an sie beide.
    »Die Hauptsache«, fuhr Poussevent fort, »spielte sich aber vor dem Hôtel de Ville ab, auf dem Schafott. Die Henker zogen Ravaillac
     das Hemd aus, legten ihn nackt wie einen Wurm auf das Rad und fesselten seine Arme und seine gespreizten Beine an die Speichen.
     Und hierbei trat wie durch ein Wunder Stille ein im Volk und unter den Damen und Herren auf den ansteigenden Rängen vorm Hôtel
     de Ville, von wo sie gute Sicht auf den Leib des Elenden hatten.«
    »Ohne unsere Scholdaten«, fuhr Mariette fort, »die uns durchs Gedränge ja quasi in die vorderschte Reihe schoben, hätten wir
     überhaupt nichts gesehen von dem Ganzen. Ein paar Spaßvögel kamen mit Stelzen und wollten sich über die anderen aufschwingen,
     aber die Nachbarn ließen sie nicht, sie haben absteigen gemußt. Am glücklichsten, Möschjöh le Marquis, waren noch die Kinder
     dran, welche die Väter sich auf die Schultern setzten, die holte keiner runter.«
    »Wie gesagt«, nahm Poussevent wieder das Wort, »es machte sich große Stille breit, als Ravaillac aufs Rad geflochten wurde.
     Aber das änderte sich, als die Henker ihn an den Brustwarzen zwickten, an den Armen, Lenden, Weichen und ihm kochendes Öl
     in die offenen Wunden gossen und geschmolzenes Blei. Bei jeder neuen Pein schrie der Elende wie besessen! Und auf sein Geschrei
     antworteten die guten Leute mit Pfiffen und Hohngelächter.«
    |14| »Offen gestanden«, sagte Mariette, »ich hatt denn doch genug. Wie der Monschter schrie, nein, mir ist ganz andersch geworden.
     Ich hab wahrhaftig blosch durchgehalten, weil ich mir gesagt hab, es ist ja wohl das wenigste, daß scho ein Elender ein, zwei
     Stunden auf dieser Welt schlimmste Pein erleidet, wo er uns allen scho großes Leid angetan hat und hat uns zu Waisen eines
     scho guten Königs gemacht.«
    »Was mir aber in der Kehle steckengeblieben ist«, sagte plötzlich Lisette, das einzige blasse Pariser Kind unter unseren Kammerzofen,
     die sonst alle, rosig und gesund, französischen Landen entstammten (oder dem Elsaß wie Greta), »das war, als das Volk nicht
     wollte, daß sie dem Ravaillac das
Salve Regina
sangen, wie er danach verlangte, eh er von den vier Pferden zerrissen wurde, weil er wußte, daß das sein Tod war.«
    »Wieso, das Volk hat es nicht gewollt?« fragte mein Vater. »Entscheiden darüber nicht die Beichtväter?«
    »Die wollten ja, Herr Marquis!« sagte Poussevent. »Aber kaum hatten sie das
Salve Regina
angestimmt, schrie das Volk so laut wie noch nie, ihm soll das
Salve Regina
nicht gesungen werden, der Verbrecher soll geradewegs in die Hölle fahren wie Judas. Weil die Beichtväter den heiligen Gesang
     aber nicht abbrachen, ging ein wütendes Toben los, manche zogen sogar Messer und wollten die geistlichen Herren aufschlitzen,
     so große Doktores von der Sorbonne sie auch sind … Jedenfalls verstummten sie. Wußten sie denn, ob die Arkebusiere sie vor
     der aufgebrachten Menge schützen konnten?«
    »Das war sehr
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