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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Pleschinski
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aus dem ein regelmäßiges Stanzgeräusch drang. Kurt Friedemann saß über den Schreibtisch gebeugt und lochte hingebungsvoll quittierte Rechnungen. Dem Doppelkopfbruder lag solches Tun mehr als der Umgang mit Gästen. Auf deren viele Fragen – wo die Holland-Woche stattfinde, wann Düsseldorf gegründet worden war, ob in der Nähe ein Hautarzt praktiziere – hatte Friedemann schon mit «Das weiß ich nicht» und einem finalen Achselzucken reagiert. Kleine Herkunft aus Ratingen, kein wahres Streben, aber der kloßrunden Gestalt mit puterfarbenem Kopf wurde leicht verziehen, als fürchte man ihren Kollaps. Das energische Abheften war Kurt Friedemanns Vergnügen. Vielleicht hatte er angesichts jeder ansehnlichen Zimmerrechnung das Gefühl, selbst mit im Gelde zu schwimmen.
    Die Blindgängerentschärfung mußte vorüber sein, ohne einen Zwischenfall. Martinshörner von weit her waren nicht mehr zu vernehmen. Die Fleischer mit ihren Zinkbottichen blieben vom Wirtschaftstrakt verschluckt und wurden gewiß durch die freigegebenen Hinterausgänge in ihren Tag entlassen. Oskar Siemer atmete durch.
    «Guten Tag. Firma Elektro-Bunke. Ich bringe den Schallplattenspieler für den Nobelpreisträger.»
    Der Empfangschef fuhr herum, erblickte ein munteres Jungengesicht, ein kariertes Hemd und den Brustlatz einer blauen Arbeitshose, auf der bogenförmig mitgeteilt wurde: Hören & Sehen mit Bunke .
    «Oh. Ah ja», entsann sich Siemer, während Friedemann zum Telephon mußte. «In die Präsidentensuite. Beletage.»
    Der Elektrobursche riß die Augen auf.
    «Erster Stock. Präsidentensuite. Das Zimmermädchen führt dich hin.»
    «Okay.» Zum Modewort, das summa summarum wohl Das geht in Ordnung und Wie’s beliebt umschrieb, reckte der Halbwüchsige fast wie nach Befehlsempfang, wenn auch recht keck, seinen Kopf. Das schien denn wohl die Übergangsgeneration zwischen Hitlerjugend und neuem Remmidemmi zu sein. Seine Arme umfaßten einen großen Karton.
    «Nimm den Fahrstuhl. Das ist doch schwer.»
    «Well, Sir, bin schon fast groggy.» Der Dreikäsehoch trieb’s energisch mit seiner Anglomanie. Aber Platz den Tüchtigen. «Mordstrumm. Schaub Lorenz. Unser bestes Gerät. Diamantnadel.» Er warf die Haarmatte seiner Scheitelfrisur zurück, und das Elektrohaus bugsierte seine Fracht zum Fahrstuhl, wo der Liftboy ihm buchstäblich unter die Arme griff. Die Firma Bunke mußte erhebliches Vertrauen in ihren Nachwuchs setzen.
    In Tilsit hatte es höchstens dreißig bis vierzig Grammophone gegeben. Trotz unausdenklicher Verluste ging längst etliches voran und wurde besser, üppiger, bequemer als zu Zeiten von Volksempfänger und reichsweitem Eintopfsonntag. Eine beinahe unheimlich schnelle Genesung Restwestdeutschlands. Durfte man dem neuen Glanz und Tempo trauen? Machten sie alles wieder gut?
    «Ist die Nebensuite frei?» Friedemann fragte vom Telephon herüber, dessen Sprechmuschel er zuhielt.
    «Aber nein!» Siemer schüttelte den Kopf: «Dort wird die Gattin untergebracht.»
    «Ich bedauere unendlich, gnädige Frau. Ist leider reserviert … Ja, dann weiß ich nicht», hörte Siemer von der Seite und zog die Brauen hoch. Doch der nachgeordnete Kollege fand wieder auf die gehörige Bahn; er blätterte im Buch: «Ich kann Ihrem Gemahl diesmal statt dessen ein sehr geräumiges Doppelzimmer geben. Mit Blick auf Sankt Lambertus. Das Bad generalüberholt. Ja, selbstverständlich, gnädige Frau. Das wird natürlich beachtet. Gehorsamste Empfehlungen seitens des Hauses an den Herrn Generalfeldmarschall, wenn ich mir erlauben darf.»
    Siemer erbleichte.
    Es war geschehen.
    Der Nobelpreisträger und Kesselring.
    So stolz nun Herr Friedemann auf seine Leistung auch sein mochte – es war gewißlich nicht wünschenswert, wenn der Großkünstler und der Generalfeldmarschall a. D. unter einem Dach logieren würden. Es mochte zu Spannungen, gefährlichen Blicken, ja, zu einer ganz scheußlichen Begegnung kommen, wenn der Emigrant und der ehemalige Oberbefehlshaber Süd entsetzlicherweise gemeinsam in den Aufzug gerieten und sich eine Weile nicht ausweichen könnten. Ein Wortwechsel prekärster Art? Eine tätliche Auseinandersetzung? Letzteres zwischen zwei älteren Herren wohl nicht. Solches Zusammentreffen – eine der gräßlichsten Unwägbarkeiten für das Haus. Zwar hatte der Nobelpreisträger, wie man wußte, zeitlebens Kontakte zu hochrangigen Persönlichkeiten gepflegt, war von Staatsoberhäuptern, sogar dem amerikanischen, und vom Papst
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