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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Pleschinski
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versteckt, mit einem Essensvorrat, im Keller unter dem Backhaus. – Oskar Siemer, ihr Witwer, denn das war er gewiß, durfte sich gar nicht ausmalen, was mit seiner Gerda geschehen war. Es hatte für ihn keinen Weg zurück gegeben. Bei den Decken für die Cafétischchen hatten sie sich für violett-weiß kariert entschieden.
    Nur Arbeit hatte aufgeholfen.
    Arbeit half. Er begann, die noch unversorgte Post in die Kästen zu verteilen. Mager war er geworden und geblieben. An Herrn Käsewig ein Brief aus Frankfurt, eine Drucksache – an die Hotelanschrift? – für das Ehepaar Permoser, Brauer aus Starnberg, an Dauergast Hedwig Rankfels, betuchte Witwe aus Wanne-Eickel, die dort nicht leben wollte, adressiert eine Ansichtskarte. Auf das Bild eines endlosen Badestrands unter azurnem Himmel – Rimini – Eiscafés unter Palmen, Mandolinenklang zum Abendessen durfte er wohl einen kurzen Blick werfen. Dauernd Spaghetti, wenn auch vielleicht mit unterschiedlichen Soßen, hätte ihm allerdings weniger gefallen. Doch jeder Ort besaß seine stimmigen Sitten, die sich gelegentlich änderten.
    Manchmal half gegen alles Durchlebte auch ein Farbspielfilm mit Sonja Ziemann, wenn sie auf der Heide liebte oder als bildhübsches Schwarzwaldmädel ihrem Hans die Treue schwor. Auch dieser Star hatte anläßlich einer Premiere im Breidenbacher Hof genächtigt. Sonja Ziemann war unkompliziert gewesen. Ihr Partner Rudolf Prack hingegen hatte für seinen Frühstücksimbiß Ei Benedikt unbedingt einen Spritzer Tabasco verlangt. Diese scharfe Novität hatte die Küche nicht vorrätig gehabt, aber nach der findigen Eingebung eines Hilfskochs hatte man beim gefälligen britischen Militärkommandanten, einem Gourmet mit Übersee-Erfahrung, rasch ein Fläschchen der exotischen Extremwürze ausleihen können.
    Das Loch in der Uhr blieb ein Menetekel. Der Empfangschef lugte kurz hinauf. Gerda verschollen, Tilsit verloren, unzählige ermordete Juden, Zigeuner, Andersdenkende, Trümmerflächen, Trümmerregionen, Blindgänger, wo gewohnt worden war, Endkampf in Stadtparks – schlimmst und nebenher auch peinlichst. Was für eine Staatsführung, was für eine Generalität, was für ein Volk, wo nach verlorenen Schlachten nicht Friede gesucht worden war, sondern noch zwischen Hotelmöbeln fanatisch gekämpft werden sollte. Primitiv.
    Gleichwohl, wenn dies auch nur ein Nebengedanke war, beschlich einen verdrehterweise dennoch das Gefühl, daß seinerzeit, egal ob bei Freund oder Feind, was sich am Ende verwirrt hatte – die Feldjäger erschossen Deutsche, die Briten befreiten Lager –, vielleicht wie immer die Beherztesten, die Draufgängerischsten in ihrem jeweiligen Fanatismus oder Mut ihr Leben gelassen hatten. Wer durchgekommen war, Glück gehabt hatte, atmete, Portier Elkers mit einem Arm, Direktor Merck als Diabetiker, er, Siemer selbst, mit einem Granatsplitter vom Einsatz im brandenburgischen Wald, ja, er kam sich bisweilen wie ein Restbestand vor, zweite Wahl, Feigling, grundlos auserkoren für weiteres Lebensglück und die spätere Auflösung. Sein Herz schlug. Wie viele Selbstlose, Junge, Starke, Verführte, Friedenbringende, unglücklich Tapfere hatten die Erde und der Rhein verschluckt?
    Ein unaussprechliches Weh ob der Toten.
    Mit einem Brief für die elegante Mutter, Frau Inge Leipold, die mit ihrem Sohn ausgegangen war, in seiner Hand, weigerte sich Siemer, sich unwerter zu fühlen als jene, die Opfer geworden waren oder sich geopfert hatten.
    Er hatte in seiner Weise den Schutt aufzuräumen. Vorbehaltlose Aufmerksamkeit und Höflichkeit wieder zur Geltung zu bringen, wenn er Holländerinnen willkommen hieß und tief nachts das sturzbetrunkene Ehepaar Permoser zum Aufzug geleitete, damit die Brauerherrschaften nicht in die dunklen Festsäle torkelten. Auf Taktgefühl kam es an, ganz gleich, was sich im anderen verbarg, denn bei möglichst unausgesetzter Zuvorkommenheit, die im Gegenüber ihr Echo fände, konnte sich gar nichts Böses entfalten.
    Eine Verhaltenskrücke, sann der Memelländer in rheinischem Dienst. Jeder richtete sich aufs beste mit seinen begrenzten Gedanken ein.
    Der Lieferantenstrom verebbte. Ein Bäcker mit Weißbrotstangen trottete einer Wäschereinachhut hinterdrein: «Zur Küche?» «Vor der Treppe links. Den Gang entlang, dann fragen Sie noch mal.» Die Teppiche konnten wieder ausgerollt werden, und gedämpfte Regsamkeit begann zu regieren. Neben der Schlüsselwand warf der Empfangschef einen Blick ins Büro,
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