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Knochenerbe

Knochenerbe

Titel: Knochenerbe
Autoren: Charlaine Harris
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Lynn gewünschten Muster ausgesucht und meine Karte hinterlassen, und nun machte ich mich auf den Weg in die Kirche.
    Der Mann, der am Kircheneingang die Gäste empfing, um sie auf die richtige Seite des Kirchenschiffs zu geleiten, war ein Polizist, den ich noch aus der Zeit meiner Beziehung zu Arthur kannte.
    „Schön, Sie zu sehen“, begrüßte er mich leicht verunsichert. „Sie sehen fabelhaft aus, Roe.“ Er selbst wirkte in seinem Smoking recht steif und gar nicht so, als würde er sich wohlfühlen, reichte mir aber, ganz wie es sich gehörte, galant den Arm.
    „Freundin der Braut oder des Bräutigams?“, erkundigte er sich automatisch, nur um gleich darauf zusammenzuzucken und krebsrot zu werden.
    „Sagen wir: Freundin des Bräutigams“, schlug ich sanft und, wie ich mich selbst loben muss, auffallend beherrscht vor. Der arme Detective Henske steuerte mich auf einen freien Platz auf der richtigen Seite, wo er mich sichtlich erleichtert mir selbst überließ.
    Ganz darauf konzentriert, locker und gelassen zu wirken, sah ich mich möglichst wenig um. Sollten die Leute doch denken, ich hätte mich aus purem Zufall so angemessen gekleidet, hätte rein von ungefähr auf dem Weg zur Haustür die Hochzeitseinladung auf meinem Flurtisch entdeckt, und hätte ganz spontan beschlossen, kurz vorbeizuschauen. Als Arthur hereinkam, sah ich hin, aber das war in Ordnung, das taten alle anderen auch. Arthurs hellblondes Haar war frisch gewaschen, lockig und kurz, die blauen Augen, seine wunderschönen blauen Augen, strahlten wie eh und je. Er trug einen grauen Smoking und sah fantastisch aus. Es tat nicht ganz so weh, wie ich erwartet hatte.
    Als der Hochzeitsmarsch ertönte und sich alle in Erwartung der Braut erhoben, biss ich die Zähne zusammen. Wahrscheinlich glich das starre Lächeln auf meinem Gesicht eher einem verächtlichen Grinsen, aber besser bekam ich es nicht hin. Widerstrebend drehte ich mich um, um Lynns großen Auftritt zu sehen. Da schwebte sie auch schon herein, ganz in Weiß, mit Schleier, ebenso groß wie Arthur, das kurze, glatte Haar zur Feier des Tages in Locken gelegt. Lynn war gute dreißig Zentimeter größer als ich, was ihr in der Vergangenheit viel ausgemacht hatte. Jetzt wohl nicht mehr.
    Als Lynn an mir vorbeiging und ich sie von der Seite sah, blieb mir die Luft weg: Lynn war schwanger. Deutlich sichtbar schwanger.
    Warum das für mich ein solcher Schock war, kann ich schwer erklären. Ich hatte ganz sicher nicht schwanger werden wollen, als ich mit Arthur zusammen war, es hätte mich fertiggemacht, mit einer solchen Situation konfrontiert zu werden. Aber ich mir oft vorgestellt, ihn zu heiraten, und von Zeit zu Zeit hatte ich auch an Babys gedacht. In meinem Alter dachte wohl jede Frau, die heiraten wollte, auch an Babys. Irgendwie hatte ich dort in der Kirche ganz kurz das Gefühl, mir sei etwas gestohlen worden.
    Nach der Trauung blieb ich noch, bis ich mit genügend Leuten geredet hatte, um sichergehen zu können, dass man meine Anwesenheit registriert hatte und dem glücklichen Paar melden würde. Den Empfang sparte ich mir. Inzwischen fand ich es ziemlich dumm, überhaupt aufgetaucht zu sein – warum sollte ich mir jetzt auch noch die beschwingte Feier antun? Alles in allem war ich weder galant noch tapfer gewesen, als ich mich hübsch gemacht hatte und hergekommen war, sondern einfach nur dumm.
     

     
    Als drittes kam die Beerdigung, sie fand ein paar Tage nach der Hochzeit meiner Mutter statt und war eigentlich für eine Beerdigung ganz in Ordnung. Es war weder unerträglich heiß, noch regnete es, als wir an jenem Morgen Anfang Juni Jane Engle zu Grabe trugen. Die kleine Episkopalkirche war groß genug für alle, die gekommen waren, um Abschied zu nehmen, aber nicht zu groß. Ich spreche hier absichtlich nicht von Trauernden: Für die meisten von uns war Janes Begräbnis kein tragischer Anlass, sondern eher ein gesellschaftliches Ereignis, an dem es teilzunehmen galt. Jane war alt und sehr krank gewesen – auch wenn wir Letzteres erst jetzt erfahren hatten, denn sie hatte niemandem davon erzählt. Die meisten, die am Trauergottesdienst teilnahmen, kannten Jane aus der Kirchengemeinde oder erinnerten sich noch aus ihrer Zeit als Bibliothekarin der örtlichen High School an sie. Außer einem ältlichen Vetter, Parnell Engle, der selbst in die Jahre gekommen war und sich an diesem Tag zu hinfällig fühlte, um anwesend sein zu können, hatte Jane keine lebenden Verwandten mehr
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