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Klotz, Der Tod Und Das Absurde

Titel: Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Autoren: Christian Klier
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Mantelkragen
hochgeschlagen hatte, brachte er sein Hinterteil auf der Schlagzeile »Kommt die
Klimakatastrophe?« in Stellung. Ein gestresster Schließmuskel entspannte sich,
und während er sich gerade eine Zigarette drehte, transformierte ein
ordentlicher Furz das Fragezeichen der Schlagzeile in ein Ausrufezeichen und
jonglierte ansonsten ein wenig mit dem Satzbau.
    »Die Mischung macht’s!« War das nicht einer dieser schwachsinnigen
Werbeslogans? Er wusste nicht mehr genau, wo er den Spruch gehört hatte, aber
er musste an ihn denken, als sich der Rauch der brennenden Zigarette, der
Kaffeeduft aus dem Pappbecher und der Zeitungsfurz für einige Sekunden unter
seiner Nase versammelten. So riecht das Leben, dachte er und war ein wenig
angewidert von seinem hochphilosophischen Gedanken. Dann sog er an der
Zigarette, um den ekelhaften Geruch zu vertreiben.
    Werner Paul Klotz war einundvierzig Jahre alt, leicht übergewichtig
und seit fünf Jahren geschieden. Und wenn man es ihm selbst überlassen hätte,
seine hervorstechendsten Eigenschaften seinen Mitmenschen mitzuteilen, dann
hätte er sich sicher unrecht getan. Seiner Meinung nach wurde das, was ihn
ausmachte, durch Begriffe wie Chaos, Krise, Katastrophe recht treffend
zusammengefasst. Ganz falsch lag er mit dieser Einschätzung nicht. Schließlich
hatte er in seinem bisherigen Leben so einige Rollen ausgefüllt, auf die diese
Begriffe ziemlich gut zutrafen. Da war zum Beispiel die gescheiterte Karriere
als Ehemann und Vater. Zweifellos zwei Projekte, die er völlig vermurkst hatte.
Aber das ergab ein nur unvollständiges Bild. Denn es gab einen Bereich in
Klotz’ Leben, der vollkommen in Ordnung war, mehr als in Ordnung, ein Gebiet,
das er aufs Beste aus- und erfüllte. Und es ihn selbst auch.
Kriminalhauptkommissar Werner Paul Klotz war ein hervorragender Ermittler. Ob
er sich selbst so eingeschätzt hätte? Dafür war er vielleicht zu bescheiden
oder irgendwie zu kritisch, zu pessimistisch. Sei’s drum. Ansonsten war er auf
jeden Fall ein Loser, wie er im Bilderbuch steht. Doch zum Glück gab es da den
Beruf, der – wie für viele moderne Männer mit steinzeitlichem Bewusstsein – so
etwas wie einen letzten Rettungsanker für Klotz bedeutete.
    Für einen kurzen Moment fielen ihm die wenigen Minuten ein, während
derer er heute Nacht in einen unruhigen Halbschlaf gefallen war. Er hatte sich
wieder in diesem Krankenzimmer befunden, das so hell, gleißend und aseptisch
gewirkt hatte. Auf einem weißen Kissen hatte das Gesicht seines Vaters gelegen,
und er hatte in diese toten Augen gesehen. Vater war tot, und doch bewegten sich
seine Lippen. Und nachdem er das Wort abgelesen hatte, das diese trockenen,
wortlosen Lippen sagten, war er aufgeschreckt.
    »Versager!«
    Im ersten Augenblick hatte er Schuld empfunden. Dann hatte er sich
auf seine Verliereridentität zurückgeworfen gefühlt. Das bekam man einfach
nicht los, das ging einfach nicht abzuschütteln. Wie ein Scheiß-Kaugummi an der
Schuhsohle, das einen am Boden halten will, sobald man losgeht. Und wenn man
dann geht, dann schmatzt es die ganze Zeit und will nicht mehr runter vom Schuh.
    Vielleicht war dieses diffuse Gefühl aus Schuld und Verlorensein ja
deshalb so stark, weil Weihnachten vor der Tür stand und an jeder Ecke ein
fröhlich dreinblickender weiß-roter Plüschmantel herumlungerte und doch
irgendwie so etwas verhieß wie Harmonie und Geborgenheit. »Kling, Glöckchen,
klingelingeling«.
    Harmonie und Geborgenheit. Das war eine Aufgabe. Das war seine Aufgabe. Nicht die von irgendwelchen betrügerischen
Weihnachtsmännern, die sich und den anderen die Welt schönredeten. Harmonie und
Geborgenheit, das war sein Ding! Er musste kämpfen. Gegen Mord und Totschlag, gegen
Verbrechen, gegen die Widerlichkeiten und Abgründe einer kriminellen Welt.
    Harmonie und Geborgenheit. Klotz bemühte sich, die soeben durchlebte
Geruchserfahrung der besonderen Art aus seinem olfaktorischen Gedächtnis zu
streichen, indem er an seinem Kaffee nippte. Ein elendigliches Gesöff! Schmeckt
irgendwie nach Müll, dachte er und nahm erneut einen Schluck. Er sah an einem
kahlen Baum vorbei hinunter in die Burgstraße. An einer Hausecke konnte er ein
Plakat erkennen, auf dem die Faschingsgesellschaft »Narhalla« eine Prunksitzung
für das neue Jahr ankündigte. Komisch, dachte er, irgendwie unpassend, so vor
Weihnachten, aber was war schon noch passend in dieser Welt. Hauptsache, die
Brille passte. Und die
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