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Klassenfahrt zur Hexenburg

Klassenfahrt zur Hexenburg

Titel: Klassenfahrt zur Hexenburg
Autoren: Stefan Wolf
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Wiederkehr war ungewiss. Deshalb löste der Friedhof von
Kryzcincla einen wahren Beerdigungs-Tourismus aus. Wer unbedingt in den Himmel
wollte, ließ sich dort bestatten. Die Sterbenden reisten an aus Polen, Bayern
und Belgien. Oder sie ließen ihre sterblichen Überreste nach Kryzcincla
bringen. Die Klosterchronik berichtet von 30 000 Toten, die dort während der
großen Pest im Jahre 1318 eingebuddelt wurden. Hundert Jahre später tobten die
Hussitenkriege und noch mal 10 000 Leichen kamen hinzu. Der Friedhof quoll
über, wurde erweitert, schließlich zum Teil eingeebnet — und man hatte Berge
von Knochen, von Gebeinen. Aus Gründen der Ehrfurcht wurden die nicht im Umland
verstreut, sondern in einem riesigen Keller aufbewahrt, wo sie — das ist
verbürgt — im Jahre 1511 ein halbblinder Mönch — der zu sinnvollem Jobben nicht
mehr zu gebrauchen war - wo der also die Knochen zu sechs Pyramiden aufgeschichtet
hat. Später wurde das Kloster aufgelöst. Die Mönche wichen einem Landedelmann.
Der ließ das Kloster zu einem trutzigen Gemäuer umbauen: halb Burg, halb
Schloss. Eher schlicht, denn er war knapp bei Kasse. Und die Knochen lagen
immer noch im Keller. Aber 1870 hatte dann ein Nachfahre eine ebenso makabre
wie schlaue Idee. Er hatte einen Kunstschnitzer im Team seiner Untertanen,
einen gewissen Frantisek. Der war zuständig für Treppengeländer und
Bauernschränke, erhielt aber nun einen tollen Auftrag. Und den hat er
ausgeführt.“
    „Nämlich?“, fragte Klößchen.
    „Er hat die Knochen aus dem
Keller und aus allen alten Gräbern, also die Knochen von 40 000 Menschen —
Knochen, die zum Teil schon 600 Jahre alt waren hat dieses Gebein künstlerisch
bearbeitet und die gesamte Hexenburg — wie man das Gemäuer im Volksmund nennt —
damit ausgestattet: Kruzifixe, Kronleuchter, Kelche, Treppengeländer,
Wandverkleidungen, Tische und Stühle. Alles aus Knochen. Der Mann hat 30 Jahre
daran gearbeitet — mit einem Dutzend Gehilfen. Die Knochen hat man natürlich
vorher desinfiziert und mit chlorhaltigem Kalk präpariert. Deshalb sind sie
auch heute noch blendend weiß. Was eine schaurige Wirkung hat. Die Hexenburg
wirkt innen noch kälter als sie ohnehin schon ist.“
    „Beeindruckend“, sagte Tim.
    „Horrormäßig“, meinte Klößchen.
    „Hat dann noch jemand drin
gewohnt?“
    „Angeblich ja“, nickte Karl.
„Der Schlossherr und seine Geliebte. Waren wohl Grufties oder ein Nebenzweig
der Frankenstein-Familie.“
    „Die Mädchen werden sich zu
Tode fürchten“, grinste Klößchen. „Aber dann wissen sie wenigstens einen
Bodyguard zu schätzen.“
    „Irgendwie passt das alles zu
der Anti-Raucher-Kampagne“, sagte Karl. „Dieser Überfluss an Gebeinen. Rauchen
macht ja bekanntlich schlank — sogar sooo schlank.“
    „Wahrscheinlich waren das 40
000 Raucher“, überlegte Klößchen, „deren Gebeine dieser Frantisek dann
verwendet hat.“
    „Von denen hat keiner
geraucht“, erklärte Karl. „Die Nikotinsucht wurde nämlich in Europa erst um
1600 eingeführt, als Seeleute Tabak aus Südamerika importierten. Für die
Indianer war Tabak eine heilige Pflanze. Man kann sich ja mal irren.“
    In diesem Moment klingelte das
Telefon auf Karls Schreibtisch.

23. Gabys Hilferuf
     
    „Wahrscheinlich Gaby.“
    Tim schnellte förmlich zum
Apparat und nahm den Hörer ans Ohr. „Bei Vierstein. Hier...“
    „Tim!“

    Es war Gaby. Sie schien zu
flüstern und in ihrer Stimme schwang etwas mit, das dem TKKG-Häuptling
Gänsehaut machte.
    „Ja, ich bin’s. Alles okay?“
    Schon während er fragte, wusste
er, dass dem nicht so war.
    „Nein. Ich muss leise
sprechen.“ Zitterte ihre Stimme? „Tim, wir sind überfallen. Wir werden
entführt.“
    „Waaas?“
    „Ich muss ganz leise sprechen,
sonst hört mich der eine. Es sind zwei. Beide sind maskiert. Vorhin — also
einige von uns mussten mal. Der Fahrer ist auf einen Rastplatz gefahren. Und
plötzlich war der Wagen da — mit den beiden. Der Wagen war schon eine ganze
Weile hinter uns. Er ist aus unserer Stadt.“ Sie nannte das Kennzeichen. Dann: „Kaum
waren Bärbel und Raffaella ausgestiegen — da stürmten die Typen heran. Sie
haben Pistolen. Sie haben Herrn Seidenwanst bedroht. Das ist unser Fahrer. Aber
geredet hat immer nur der eine. Ist mit ‘ner Kopfmaske total maskiert. Trotzdem
habe ich ihn erkannt. Er ist... Halt dich fest, aber ich wette, er ist es... er
ist unser Ossinsky.“
    Tim musste die Lippen mit der
Zunge anfeuchten.
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