Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen
Autoren: Reinhard Febel
Vom Netzwerk:
bis das Ganze zur Ruhe kam.
    »Voilà«, sagte der Franzose. »Sevilla.«
    Ach ja? Domenico war froh, den Schwätzer nun endlich loszuwerden.
    Eine Galeote glitt wie auf Stelzen über den gleißenden Fluss, einem Wasserläufer gleich. Die Ruderer darin hinterließen zwei getupfte Spuren, deren eine sich verwischte und abbrach, als die Riemen der Steuerbordseite plötzlich stillstanden, dem Wasser Widerstand entgegensetzten und das Boot sich zu drehen begann. Bald im rechten Winkel zum Fluss gestellt lief es neben dem Segler gegen das Ufer und machte ebenfalls fest. Scarlatti sah Reihen von schwarzen Rücken – Sklaven oder Gefangene – und darüber, auf einem vom Heck zum Bug verlaufenden Steg, ein paar Männer mit Sonnenschirmen und blauen Uniformen.
    Nur ein kleiner Schritt noch und ich bin da, dachte er, als er, ungelenk wie eine Landratte nun einmal ist, auch nach Wochen auf See, den ausgelegten Balken entlangbalancierte und dann mit einem kleinen Hüpfer das spanische Festland zum ersten Mal betrat. Jetzt wird sich alles ändern; jetzt oder nie. Sevilla, 1729!
    Zunächst aber ging es an einem Beamten vorbei, jener Spezies, der man nie und nirgendwo entkommen kann; ein Grenzer mit buntem Rock, der vor sich ein Schreibpult aufgebaut hatte und Listen mit Menschen abglich. Er blickte kurz auf. »Name?«
    »Scarlatti. Domenico Scarlatti.«
    Der Hafenbeamte fuhr mit einem schmutzigen Finger das Papier auf und ab, fand jedoch keinen passenden Eintrag.
    »Ihr wart nicht auf dem Schiff«, sagte er dann, was angesichts der einzigen Planke ans Ufer, neben der er sich postiert hatte, einer gewissen Logik entbehrte.
    »Scarlatti, Napoli«, sagte Domenico, nicht gewillt, des Beamten Arbeit zu übernehmen. Jener rieb noch ein wenig den Zettel auf und ab, dann erhellte sich kaum merklich sein Blick.
    »Ah, Domingo Escarlati. Da. Guten Tag in Spanien.«
    »Escarlati«, murmelte Scarlatti. »So heiße ich jetzt, aha … und Domingo. Domingo Escarlati, beinahe ist das ein Pseudonym – nun gut, das ist mir recht.«
    Er nickte dem Zollbeamten zu, ging ein wenig in die Knie, zeigte hinter sich zum Schiff und mimte schweres Schleppen. »Kiste. Kommt noch.« Die spanische Sprache ist der italienischen ähnlich, doch nicht immer ähnlich genug.
    Der Beamte deutete Verstehen an, hatte er doch mittlerweile den Vermerk: Hof… wie, was? …komponist (was ist denn das nun wieder?) am Alcázar entziffert und sogleich allen Ehrgeiz an weiteren Untersuchungen – durchaus in eigenem Interesse – verloren. Scarlatti, das heißt Escarlati, wurde also durchgewinkt und in seiner Kiste, mit der man anschließend ebenso verfuhr, hätte auch eine Leiche verborgen sein können.
    Endlich also balancierten zwei Träger Scarlattis Seekiste über den Balken und ließen sie dann neben ihm in den Sand plumpsen – sein wandelndes Haus, denn darin war alles, was Domenico besaß und brauchte (bis auf die Noten in seinem Kopf und die Goldmünzen, Briefe und Zertifikate, die er in einer Ledermappe unter dem Rock trug).
    Er dankte in einer Mischung aus Italienisch und der Landessprache – das kriegen wir schon noch besser hin –, belohnte die beiden und setzte sich dann auf den Kistendeckel. Was nun? Wohin jetzt? Um ihn herum wurde geschleppt, gelacht, begrüßt, geworben. Fuhrwerke standen bereit, auch Kutschen – vorbestellt sowie frei – und Esel mit seitlichen Kiepen, von jungen Burschen geführt; so, wie sich eine Großstadt am Meer überall präsentiert. Es roch wieder nach Land, nach vermodertem Gras, nach Pferdeäpfeln, Dung und Staub.
    Doch jenes Wohin? klärte sich rasch. Ein paar livrierte Männer kamen auf den Maestro zu, nahmen ihre Hüte ab, begrüßten ihn und brachten ihn und seine Kiste zum Alcázar.

4
    Die alten Portale der Mauren mit ihren geschwungenen und im oberen Teil weit über die Torbreite ausladenden Bögen – durch die Escarlati am frühen Morgen mehrmals, wie probeweise, in den Orangengarten hinein- und an anderer Stelle wieder herausgeschritten war – beschworen Menschen mit riesigen Köpfen, die einst zwischen Garten und Mezquita wandelten; oder gewaltige Kinder, gleich einem ganzen Trupp der Krippe entwachsener Jesuskinder, deren Schädel wie Schlüssel in die Öffnungen der oberen Rundung passten. Was ging in solch riesenhaften Köpfen vor, welche Gedanken trugen jene Fremden aus dem fernen Orient hier zwischen den Orangenbäumen umher?
    Die Wintersonne war schwach, scharf zwar wie eine Nadel, doch stach sie nur ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher