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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen
Autoren: Reinhard Febel
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sich zu sein. Denn die Wände des Labyrinths waren durchlässig wie Watte.
    Die Prinzessin wusste alles, was man über sie redete und lästerte. Manchmal schlich sie sich an, absichtlich einer verwinkelten Seitengasse folgend, die rückläufig wieder neben den Eingang führte, und lauschte.
    »Die Dicke«, nun, so schlimm war das auch wieder nicht. Maria Barbara hatte ein hübsches, obgleich ungewöhnliches Gesicht mit wachen Augen und breiten Lippen, die sichzueinem großen, lächelnden Mund formten, die Haut allerdings hie und da mit Pockennarben besprenkelt und uneben. Ihr Körper war etwas rund, das schon, doch frisch, lebendig und neugierig. Die Dicke oder nicht: Prinz Fernando hatte sich nach dem ersten Schock an sie gewöhnt und sie sich an ihn. Vielleicht wird man, dachte die Prinzessin, trotz allem bald wirklich Mann und Frau werden, o ja, vielleicht sogar dies … Ach, Grübeln nützt nichts, Geduld! Es kommt, wie es kommt; man hat keine Wahl.
    Also: grün heißt nach rechts, schwarz nach links. Natürlich kannte sie das Labyrinth längst auswendig, hatte sogar einmal aus dem Gedächtnis einen Lageplan gezeichnet, den sie immer noch gefaltet im Saum mit sich trug – mehr eine Landkarte ihres Reiches als ein Rettungsanker, denn unbekannte Sackgassen gab es nicht mehr.
    Das Spiel war nun, zu tun, was die Beeren einem befahlen. Aus der Falte ihres Kleides griff sie blind nacheinander die einzelnen Kügelchen und bog, je nachdem, links oder rechts zur Seite.
    Die Hecken streiften sie frisch – das war ein schönes und aufregendes Gefühl.
    Und diesmal ging das Ganze auf wie ein Kartenspiel: Die letzte Beere, grün, fortgeworfen, nach rechts gebogen, und sie befand sich am Ziel, im Zentrum!
    Die Mitte, das war ein Auge, jenes eines grünen, großen, fransigen Tieres. Sie stand auf dessen Pupille. Es sah sie, und diese Vorstellung machte sie angenehm frösteln.
    Aus der blätternen Wand trat ein Reh. Maria Barbara rührte sich nicht und atmete kaum. Die Büsche raschelten und auch ihr weißes Kleid, zweistimmig ineinander verschlungen. Dann schlüpfte das Reh davon.
    Die Tiere in den Gärten des Alcázar waren zahm; hier jagte der König nicht, war der Park doch eine Kopie des Paradieses, wie der Monseñor einmal gesagt hatte.
    (»Wo sind denn dann die Löwen?«, hatte Maria Barbara gefragt. – »Nichts ist vollkommen.« – »Nicht einmal das Paradies?« – Monseñor hat keinen Humor. Der hat sicher nicht viel zu beichten. Wem beichtet er eigentlich? Sich selbst?)
    Im Gartenauge war es kühl und feucht, der Boden ein wenig zertrampelt von Picknicks auf Wolldecken – und vielleicht auch von anderen, intimeren Tätigkeiten (das Gewirr der Gassen wurde gerne genutzt als Schild vor Entdeckung, sozusagen eine in die Büsche geschorene Gnadenfrist, um zu verschwinden oder zumindest flink sich anzukleiden und über entgegengesetzte Hohlwege zu entfliehen) –, das zentrale Rechteck nicht größer als der Prinzessin Zimmer im ersten Stock des Palastes.
    In einer Ecke der Fläche stand ein Holzpodest, übermannshoch, über eine Leiter zu besteigen.
    Sie kletterte hinauf, wie immer, und überschaute das Labyrinth, ihr Reich, dieses große Geviert aus Hecken und Gängen, über das zottige Brückenbögen hinausragten, geschnitten aus je zwei nah beieinander gepflanzten Zypressen. Der eigentliche Irrgarten, den sie mithilfe ihrer Beeren durchpflügt hatte, lag darunter wie ein grünes, wogendes Meer, in das sich die Bahnen von Fischen und Seeungeheuern eingefräst hatten – und sie stand im Bug des Schiffes und kreuzte diesen erstarrten Ozean.
    Auch im königlichen Palast von Lisboa gab es ein Labyrinth. Man hatte es extra für sie angelegt. »Jeder braucht jetzt so etwas«, hatte Prinz Fernando gesagt, als er zum ersten Mal aus Sevilla zu Besuch gewesen war und die beiden auf der Terrasse über dem Tejo Ball gespielt hatten, um einander kennenzulernen.
    Die klare Wintersonne hatte wenig Kraft. Maria Barbara fror. Und langweilte sich. Ihr Holzschiff über den Wellen des Irrgartens, die Versteckspiele mit den Zofen oder Rehen, das alles war alberner Zeitvertreib, herübergerettet aus der Kindheit. Nun aber war die Prinzessin verheiratet, seit Kurzem erst allerdings, und auch noch jung: 18 Jahre. Verlobt hatte man sie mit 14 – mit dem damals 12-jährigen Prinzen. Was ist man denn in diesem Alter, ein Kind oder eine Frau? Und wer liegt da neben einem im Bett, ein Mann oder ein Spielgefährte? Niemals mehr wird sich das
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