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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen
Autoren: Reinhard Febel
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gerieten bald außer Sicht.
    Das Schiff nahm wieder Fahrt auf, und die Nacht sank herab. Unmöglich, umzukehren und zur Rettung zu eilen. Der alte Matrose schüttelte den Kopf und seufzte: »Da ist nichts zu machen.«
    Der Kerker aus Regenstäben schloss sich über der Unfallstelle. Man bewegte sich an der Reling nach achtern zum Kastell, um den Blick in das Kielwasser zu haben. Die Stiere waren schon weit entfernt, wurden zu Walen und trieben davon.
    »In drei Teufels Namen. Dies ist wahrlich das Land der Irren«, sagte der mitreisende Franzose, bekreuzigte sich halbherzig – denn noch wusste man gar nicht, ob die beiden auch wirklich ertrankenund blickte dem Wasserloch mit den zappelnden Schatten nach.
    »Das Land der Irren, aha. Schlimmer noch als Portugal?«, sagte Scarlatti nach einer Weile, hatte er sich doch eine Zeit lang am Hofe von João V. in Lisboa aufgehalten und schreckliche Dinge gesehen.
    »Schlimmer.«
    Schlimmer? Das kann doch gar nicht sein.
    »Verfluchtes Lisboa«, murmelte Domenico und musste würgen.
    »Wie bitte? Seekrank? So kurz vor dem Ziel?«, sagte der Franzose und legte ihm den Arm auf die Schulter. Scarlatti schüttelte unwirsch den Kopf, schob den fremden Arm weg, seufzte und richtete sich auf. »Alles in Ordnung.«
    O nein. Keineswegs. Er roch gebratenes Fleisch. Hier draußen, mitten auf dem Fluss?
    Nun war es stockfinster, eine Weiterfahrt zu gefährlich, wenn nicht gar unmöglich, und das Schiff ging vor Anker, trieb langsam etwas flussabwärts zurück, dann gab es einen leichten Ruck, und man lag still. In der Ferne, zur Linken voraus, waren die matten Lichter von Coria del Rio zu sehen.
    Der Sturm hatte sich gelegt, die Wellen schmatzten satt, es hatte zu regnen aufgehört, Wasser troff von den Rahen.
    Bald würde ein Ruderboot längsseits kommen, mit Laternen oder Fackeln, und einen Landgang anbieten, verbunden mit einem teuren Mahl natürlich, in der Kneipe des Gastwirts, der das Boot ausgeschickt hatte.
    Oder vielleicht auch nicht. Scarlatti war müde, wirre Gedanken schlichen in seinem Kopf umher: Die Stiere und die Hirten, sind sie ertrunken? Was für ein Omen! Nein, er würde an Bord bleiben, den Landgang bis Sevilla aufsparen, die Scholle seines neuen Lebens in aller Ruhe, bei Tageslicht und Sonnenschein betreten.
    So wie Cristóbal Colón Indien – nun, jener hatte sich allerdings gehörig getäuscht. Von wegen Indien.
    »Morgen schaffen wir es nach Sevilla«, sagte der Franzose. »Das ist sicher. Werden Sie erwartet? Geht es von dort aus noch weiter? Alles klar?« Scarlattis Anfall hatte ihn beunruhigt.
    »Ich werde abgeholt. Vom Alcázar wird jemand kommen und mich mitnehmen. Mein Dienst soll unverzüglich beginnen.«
    »Frau, Kinder? Nein?«
    »Maricati kommt nach«, sagte Scarlatti auf die Frage seines Reisegefährten. »Ja, ich habe eine Frau, aber sie ist noch in Napoli. Sie ist 17. Sie erwartet ein Kind.«
    Der andere grinste anerkennend und versuchte, Domenicos Alter zu schätzen.
    »44«, sagte Scarlatti aus freien Stücken. »Nun ja. Entweder sehe ich älter aus oder jünger. Entscheiden Sie das einfach selbst. Niemand erscheint genau so alt, wie er ist, nicht wahr? Und jemand mit einer jungen Frau schon gar nicht.«
    »Jünger«, sagte der Franzose nach einer Weile. »Ja, jünger, glaube ich.«
    Scarlatti war auf einmal verstimmt über sich, darüber, dass er Maria Catalinas Alter erwähnt, ja vielleicht sogar damit geprahlt hatte. Ein Fünkchen Stolz? Das gefiel ihm nicht. All das Falsche hatte er doch hinter sich lassen wollen – und nicht nur in der Musik.
    Gleichzeitig dachte er an die letzte Nacht mit Maricati unter dem Vulkan und vermisste sie.
    Ein Melodiefetzen drang herüber, drüben vom Festland, wo die Zigeuner kampierten – oder war es ein Schrei aus dem offenen Meer?
    Der Fetzen fremden, klagenden Gesanges erschien Domenico wie ein Tropfen Blut, Blut einer anderen Lebensform mit anderen Göttern, anderen Melodien und anderen Träumen.
    Eine andere Musik.
    Er blickte hinter sich zur Mündung in die unendlich schwarze See, auf die unsichtbare Linie zwischen Süße und Salz, zwischen Fluss und Meer.
    Napoli und deine Opern, lebt ohne mich, lebt wohl.

2
    Sie pflückte eine Handvoll Beeren vom Strauch – saftige schwarze sowie grüne unreife – und betrat das Labyrinth.
    Die Zofen blieben am Eingang des Irrgartens aus mannshohen Hecken zurück und kicherten. Maria Barbara wusste längst, dass man sie »die Dicke« nannte, wenn man glaubte, unter
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