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King of the World

King of the World

Titel: King of the World
Autoren: David Remnick
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sie manipuliert, sie zu seinem Vorteil nutzt, immer siegen; er lehrte junge Männer wie Patterson und José Torres, den glänzenden Leichtschwergewichtler aus Puerto Rico, ihre Kämpfe als Psychodramen zu begreifen, als Wettkämpfe, die weniger mit Knorpel als mit Willenskraft zu tun hatten.
    Patterson wuchs in einer bescheidenen Wohnung im Brooklyner Stadtteil Bedford-Stuyvesant auf, einer bröckelnden Stadtlandschaft, in der bittere Armut herrschte. Sein Vater arbeitete als Hafenarbeiter, in Bautrupps, als Hilfskraft auf dem Fultoner Fischmarkt. Abends kam Floyds Vater so müde nach Hause, daß er häufig zu essen vergaß und in seinen Kleidern einschlief. Floyd zog ihm dann stumm die Schuhe aus, putzte sie und wusch ihm die geschwollenen Füße. Wenn Floyds Mutter nicht gerade Hausarbeit machte, verdiente sie ein paar Dollar als Dienstmädchen dazu oder arbeitete in einer Abfüllfabrik. Es gab elf Kinder zu ernähren. Floyd teilte sich das Bett mit zweien seiner Brüder, Frank und Billy. Schon sehr früh lernte Floyd,sich zu verachten. Er kam sich dumm vor, machtlos. »Ich wollte nur eins, meinen Eltern helfen«, erzählte mir Patterson, »und dann lief alles schief, und ich machte alles nur noch schlimmer.« Mit zwei zeigte er immer wieder auf ein Foto von sich und sagte zu seiner Mutter: »Den Jungen mag ich nicht!« Mit neun nahm er das Bild von der Wand und ritzte mehrere X über sein Gesicht. Er hatte Alpträume. Mehr als einmal fanden ihn Nachbarn mitten in der Nacht auf der Straße, wo er schlafwandelte. Er war ein Kind, das sich ständig verstecken wollte, immer das Dunkel suchte. Floyd durchstreifte die Gassen, die dunklen Winkel, nicht, weil er Ärger suchte, sondern weil er sich verlieren wollte. Vormittags ging er ins Kino und blieb bis zur letzten Vorstellung sitzen. Er fuhr mit der Linie A, immer hin und her, nach Osten bis zum Lefferts Boulevard im tiefsten Queens, dann wieder zurück nach Brooklyn, über den East River durch ganz Manhattan bis Washington Heights und wieder zurück. Als er neun war, unterbrach er seine Streifzüge oft in der Station High Street in Brooklyn. Dort entdeckte er für sich das absolute Versteck. Er ging durch den Tunnel zu einem halb verborgenen Werkzeugschuppen der U-Bahnarbeiter. Er stieg die Metalleiter hoch und schloß sich in der Dunkelheit ein. Das war seine Zuflucht vor der Welt. »Ich breitete Zeitungen auf dem Boden aus, legte mich hin, schlief ein und fand Frieden.«
    Am Tag stahl er zunehmend, Kleinigkeiten wie einen Liter Milch, ein Stück Obst, etwas, was er seiner Mutter mit nach Hause bringen konnte. Als Halbwüchsiger erschien Floyd ständig vor Gericht – wegen Schuleschwänzen, Diebstahl, Ausreißen. Seiner Schätzung nach stand er dreißigoder vierzigmal vor Gericht.
    Als Floyd dann zehn war, schickte ihn ein Richter, der meinte, ihn nun oft genug gesehen zu haben, auf die WiltwyckSchool für Jungen, eine Farm für schwer erziehbare Jugendliche in Esopus im Staat New York. Im September 1945 brach Floyd nach Wiltwyck auf. Er glaubte, er komme ins Gefängnis, und war wütend auf seine Mutter, weil die das Urteil erleichtert aufgenommen hatte. Es sollte das Beste werden, was ihm je widerfahren war. Wiltwyck umfaßte zwölf Hektar Farmland, auf dem ein altes Gutshaus stand, das einmal der Familie Whitney gehört hatte. Es gab weder Zäune noch Gitter. Es gab Hühner und Kühe, eine ordentliche Turnhalle, einen Bach, in dem man baden und angeln konnte. Es gab Lehrer sowie ausgebildete Sozialarbeiter und Therapeuten. Die Kinder wurden nicht geschlagen und auch nicht im Zimmer eingesperrt. Langsam begann Floyd Lesen zu lernen, mit etwas mehr Ruhe zu sprechen und sein permanentes Schamgefühl zu überwinden. Als er Weltmeister wurde, widmete Patterson seine Autobiographie der Schule, »die mich in die richtige Richtung gewiesen hat«. Wiltwyck war genau die Chance, die Sonny Liston nie bekommen hatte.
     
    Die beiden Jahre in Wiltwyck machten aus Floyd einen anderen Menschen. Er war nie ein guter Schüler, aber immerhin kam er nun in der Welt zurecht. In New York ging Floyd dann auf die »P. S. 614«, eine der »600«er Schulen für schwer erziehbare Kinder, anschließend war er ein Jahr auf der Alexander Hamilton-Berufsschule. Als Patterson wieder in die Stadt kam, trainierten zwei seiner Brüder im Gramercy Gym in der East Fourteenth Street. Der Besitzer war Cus D’Amato, der dort in einem Hinterzimmer schlief. Sein einziger Begleiter war sein Hund.
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