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King of the World

King of the World

Titel: King of the World
Autoren: David Remnick
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Schwergewichtler und sich bewegen wie Ray Robinson.
    »Schön, nicht?«
    Ali lächelte. Es kostete ihn große Mühe zu lächeln. Parkinson ist eine Erkrankung des Nervensystems, das die Muskeln versteift und das Gesicht zu einer stumpfen Maske erstarren läßt. Die Motorik läßt nach. Das Sprachvermögen läßt nach. Manche halluzinieren oder haben Alpträume. Im weiteren Verlauf der Krankheit kann sogar das Schlucken zur schrecklichen Qual werden. Parkinson befällt das Opfer in unregelmäßigen Schüben. Ali konnte noch gut gehen. Er hatte noch immer mächtige Arme und eine massige Brust; er brauchte einem nur die Hand zu schütteln, um zu beweisen, daß er noch immer einen tödlichen Punch besaß. Nein, seine besondere Folter waren Sprache und Ausdruck, als hätte die Krankheit zuerst das treffen wollen, was ihm selbst, wie allen anderen, einmal am meisten Vergnügen bereitet hatte – oder sie am meisten geärgert hatte. Er litt sehr unter der Mühe, die ihm das Sprechen nun bereitete. (»Manchmal werden Sie mich nicht verstehen«, sagte er mir bei unserer ersten Begegnung. »Aber das ist schon okay. Dann sag ich’s eben noch mal.«) Vor laufender Kamera riskierte er kaum einmal ein Wort. Und ein Lächeln war meistens eine ungeheure Anstrengung für ihn. Ich sagte, ich wisse, wovon er spreche. Mein Vater hat Parkinson. Er kann nur noch wenige Schritte gehen, und Sprechen kann, je nach Tageszeit, eine Qual sein. Ich wußte also Bescheid. Was ich ihm nicht sagen konnte, war, daß mein Vater über siebzig ist. Er kann besser sprechen als Ali. Doch mein Vater hat nicht über Jahrzehnte hinweg Hunderte, Tausende von Schlägen der besten Schwergewichtler seiner Zeit eingesteckt.
    Ali lächelte nun, als sein jüngeres Ich, Cassius Clay, einen bösen Jab an Listons linke Braue schnippte.
    »Sehn Sie das? Sooo schnell! Sooo schön!«
    Liston wirkte verletzt und verwirrt. Auf diese neuartige Gattung Sportler fand er keine Antwort.
    Alis vierte Frau, Lonnie, kommt die Treppe herauf und legt Ali die Hände auf die Schulter. Sie ist eine kräftige, gutaussehende Frau, ihr Gesicht ist übersät mit Sommersprossen. Lonnie ist fünfzehn Jahre jünger als Ali. Sie wuchs im West End von Louisville auf, ganz in der Nähe von Clays Familie. Sie war an der Vanderbilt-Universität und arbeitete als Vertreterin bei Kraft in Los Angeles. Als Alis dritte Ehe, mit Veronica Porsche, dem Ende zuging, bat er Lonnie, zu ihm zu ziehen. Schließlich heirateten Ali und Lonnie. Lonnie ist genau das, was Ali braucht. Sie ist klug, ruhig und liebevoll, und sie behandelt Ali nicht wie ihren Patienten. Neben Alis engstem Freund, dem Fotografen Howard Bingham, ist Lonnie wahrscheinlich der einzige Mensch in seinem Leben, der mehr gegeben als genommen hat. Zu Hause in Michigan führt Lonnie Haushalt und Hof, sind sie auf Reisen, was über die Hälfte der Zeit der Fall ist, wacht sie über Ali, sorgt dafür, daß er genügend Ruhe bekommt und seine Medikamente nimmt. Sie kennt seine Stimmungen und Eigenarten, weiß, was er kann und was nicht. Sie weiß, wann er leidet und wann er sich hinter seinen Symptomen versteckt, um sich einen Auftritt, der ihn langweilt, zu ersparen.
    Ali wandte den Blick nicht vom Fernseher.
    »Muhammad, du mußt zwei Bilder signieren, ja?« sagte Lonnie. Sie legte ihm zwei große Hochglanzfotos hin.
    Cassius Clay tanzte im Ring umher und hielt nur inne, um auf dem Fleisch von Sonny Listons Gesicht eine Tätowierung anzubringen.
    »Ali, kannst du da ›für Mark‹ schreiben? M-A-R-K . Und ›für Jim‹. J-I-M . Und nachher mußt du noch ein paar Bilder und Boxhandschuhe signieren.«
    Damit verdient Ali heute einen Großteil seines Lebensunterhalts. Ali hat viel Geld mit Boxen verdient, aber nicht so viel davon behalten, wie möglich gewesen wäre. Es ging drauf für Alimente, Kletten, das Finanzamt, schöne Zeiten, die Nation of Islam. Doch der Vorteil, die charismatischste Gestalt im Sport des zwanzigsten Jahrhunderts zu sein, ist, daß er selbst in seinem geschwächten Zustand, langsam und nahezu sprachlos, bei einem Bankett oder einer Versammlung auftauchen und mit einem dicken Scheck in der Tasche wieder gehen kann. Von all den Ikonen der sechziger Jahre – den Kennedys, Martin Luther King, Malcolm X, John Lennon, Elvis Presley, Bob Dylan, Mickey Mantle – sind nur noch wenige übrig, und keiner von ihnen wird so bewundert wie Ali.
    »Ich unterschreib, wir essen«, sagte er verlegen.
    Das Band lief weiter. Cassius Clay
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