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Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Titel: Kindspech: Tannenbergs achter Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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Dame. Sie wandte sich neugierig zu ihm um. Als er in ihr stark geschminktes, verwelktes Gesicht blickte, hielt er sich an einem Straßenschild fest und begann wie ein heißblütiger Hengst mit den Hufen zu scharren, wobei er munter weiterwieherte.
    »Was soll das? Wollen Sie mich etwa anmachen?«, fragte der wandelnde Parfumladen.
    Tannenberg reagierte mit einer abwehrenden Handbewegung und entgegnete lachend: »Gott bewahre. Nichts liegt mir ferner als das.« Mit einem Mal empfand er seinen komödiantischen Auftritt als ziemlich peinlich und verschwand eilig in der Basteigasse. Dieser Schwenk bedeutete zwar einen kleinen Umweg zu dem auf dem Stiftsplatz angesiedelten Wochenmarkt, dafür aber bewahrte ihn dieser Schleichpfad vor weiteren neugierigen Blicken.
    Aus Angst, den Zaungästen seiner albernen Darbietung noch einmal zu begegnen, erledigte er die Einkäufe so schnell wie möglich. Dabei kam er jedoch nicht umhin, eine ältere Frau, die sich an Knittel’s Marktstand vorzudrängen versuchte, mit scharfen Worten auf ihr Fehlverhalten hinzuweisen und ihr den Besuch eines Volkshochschulkurses zum Thema ›Sozialverhalten auf Wochenmärkten‹ anzuraten. Als Belohnung für diese nach seiner Meinung gelungene erzieherische Maßnahme gönnte er sich trotz der frühen Morgenstunde am Härtingstand eine Pferdefrikadelle.
    Ob diese plötzliche Heißhungerattacke wohl auf mein Wiehern zurückzuführen ist?, fragte er sich schmunzelnd, während er die Frikadelle mit einem Ketchup-Häubchen krönte.
     
    Als er zehn Minuten später gut gelaunt in der elterlichen Küche eintraf, saßen Jacob und der Rechtsmediziner Dr. Rainer Schönthaler am ausladenden Holztisch. Obgleich Tannenbergs Bruder Heiner mit seiner Familie im gegenüberliegenden, größeren Haus wohnte, bildete die elterliche Wohnküche das eigentliche Lebenszentrum der Großfamilie. Seit Emmas Geburt lebten Marieke und ihr Ehemann in Heiners Haus im Dachgeschoss. Das junge Paar hatte vor einem halben Jahr geheiratet, wobei Max den Familiennamen seiner Frau angenommen hatte – nicht zuletzt als symbolischer Beweis der engen Verbundenheit mit Wolfram Tannenberg, der Max vor ein paar Jahren das Leben gerettet hatte.
    Dr. Schönthaler sprang auf und umarmte seinen besten Freund mit einem schraubstockartigen Griff. »Moin, Wolf, du steinalte Granate. Alles Gute zu deinem Geburtstag.« Genauso brutal, wie er ihn ans Herz gedrückt hatte, schob er ihn nun wieder von sich weg und donnerte ihm als Zugabe einen kräftigen Prankenhieb auf die Schulter.
    »Danke, Rainer, das …«
    »Komm, erspar uns die Dankesfloskeln«, würgte er ihn ab. »Geschenke hast du ja ebenso wenig verdient wie erwartet, deshalb gibt’s die auch erst nachher.«
    Noch bevor Wolfram Tannenberg sich gedanklich mit diesem paradoxen Ausspruch beschäftigen konnte, fuhr der Pathologe lachend fort: »Dein Vater hat eben einen Witz erzählt, den musst du dir unbedingt anhören.«
    »Also«, meldete sich der Senior sogleich zu Wort: »Einer aus der Ostzone, ein Saarländer und ein Pfälzer gehen im Wald spazieren. Da erscheint eine Fee und sagt: Jeder von euch hat einen Herzenswunsch frei. Die Männer überlegen. Dann sagt der Ostzonler: Ich wünsche mir die DDR und die Mauer zurück. Gut, sagt die Fee, wird gemacht. Nun ist der Saarländer dran. Der sagt: Mein Herzenswunsch ist, dass das Saarland wieder zu Frankreich kommt. Gut wird auch gemacht, sagt die Fee. Und du, Pfälzer, was ist dein Herzenswunsch?, fragt sie. Der Pfälzer grinst und antwortet: Ich hätte gerne ein kaltes Bier.«
    »Weil seine beiden größten Wünsche bereits durch die anderen erfüllt wurden«, grölte Dr. Schönthaler. »Ist der nicht spitze?«
    »Na, schon so früh bei bester Stimmung, meine Herren?«, hörte Tannenberg plötzlich die Stimme seiner Schwägerin, die nach seiner Meinung mehr Haare auf den Zähnen als auf dem Kopf hatte.
    Er wirbelte herum und fiel dadurch Betty quasi direkt in die Arme. Tapfer ließ er ihre angedeuteten Wangenküsschen über sich ergehen. Als letztes Mitglied der Großfamilie gratulierte die kleine Emma. Sie überreichte dem Geburtstagskind selbst gepflückte Gänseblümchen und hauchte ihm einen süßen Kuss neben den Mundwinkel. Anschließend tapste Emma zu Kurt, legte sich auf ihn und schmuste mit ihm.
    Nachdem alle am Tisch Platz genommen hatten, betrat Johanna von Hoheneck die Küche. Sie sah einfach umwerfend aus: Die sonnengebleichten, naturblonden Haare umrahmten ein dezent gebräuntes
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