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Kindermund (German Edition)

Kindermund (German Edition)

Titel: Kindermund (German Edition)
Autoren: Pola Kinski
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und verrostet der runde Eisentisch und Stühle. Tauben laufen darauf herum. Sie scheißen auf die Platte. Deshalb setze ich mich nie dorthin. Einziger Schmuck auf dem Tisch ist ein großer runder Topf, in dem Schnittlauch wächst. Wenn Mama zu viel abschneidet, sieht er aus wie ein Igel. Die hässlichen Tauben hüpfen, zucken und picken wie immer. Aber mein Fahrrad überstrahlt alles. Durch die Scheibe kann ich Mama in der Küche erkennen. Sie läuft hin und her. Manchmal habe ich das Gefühl, sie sieht mich an. Aber das bilde ich mir wohl ein. Das große Doppelfenster hoch oben in der Wand neben der Küchentür macht Mama Angst. Sie fürchtet, ein Einbrecher könnte nachts vom Treppenhaus auf die Terrasse springen, ins Schlafzimmer schleichen und uns alle ermorden. Im Bett überfällt auch mich diese Angst. Dann darf ich nicht einschlafen, ich muss wach sein, wenn der Mörder kommt. Wenn ich schlafe, spüre ich nicht, wenn er mich tötet, und das möchte ich nicht. Niemand weiß, dass ich hier bin, keiner kennt dieses Versteck. Vor der Dunkelheit hier drin fürchte ich mich nicht.
    Ich sehe mich auf der Terrasse Fahrrad fahren. Elegant, aufrecht wie eine Zirkusartistin, mit seitlich ausgestreckten Armen. So als hätte ich nie etwas anderes gemacht, rolleich über die Tauben, es knirscht, wenn ich sie zerquetsche. Viele liegen schon plattgewalzt auf dem Beton. Hin und her und her und hin, immer wieder. Ich muss sie alle erwischen. Alle! Erst als die letzte nur noch schwach am Boden zuckt, lehne ich befriedigt mein Rad ans Geländer. Mama stürzt aus der Küche und schlägt mir ins Gesicht. Aber ich spüre ihre Schläge nicht. Ich sitze auf dem Korbstuhl und lächle.
    Die Katze vom Dach ist wieder da. In letzter Zeit taucht sie hier häufiger auf. Wunderschön und stolz steht sie im Türrahmen. Vielleicht kommt sie von weit her, weil sie die Wurst gerochen hat. Ihr Fell schimmert silbergrau. Heute will ich sie unbedingt anfassen. Ich versuche mich wie eine Katze zu bewegen, schleiche langsam auf sie zu. Sie fixiert mich aus eisblauen Augen. Kaum strecke ich die Hand aus, schlüpft sie davon. Sofort laufe ich ihr nach, die Treppe hinunter, über den Hof zu einer hohen Mauer. Sie springt mit einem Satz hinauf und schaut mich provozierend an. Ich klettere auf eine Mülltonne, ziehe mich mit aller Kraft an der Wand hoch. Doch die Katze wartet schon auf der Rückseite des Hofes auf einem Garagendach auf mich. Als ich von der Mauer springe, knickt mein Fuß um. Ein grell weißer Blitz schießt durch meinen Körper. Der Schmerz jagt mir Tränen in die Augen, aber ich schlucke sie hinunter, ich muss weiter. An der Garagenwand ist eine Eisenleiter angebracht, an der ich hochklettern kann. Doch als ich oben ankomme, ist die Katze verschwunden. Sie grinst mich von einem Autodach aus an. Ich verfolge sie über Kisten, Mülltonnen, Mauern in fremde Höfe. Sie wartet den Moment ab, bis ich sie fast berühre, dann entwischt sie. So lockt sie mich immer weiter von zu Hause fort. Hier bin ich noch nie gewesen. Aber ich will wissen, wo sie wohnt, ob sie jemandem gehört. Irgendwann lasse ich mich erschöpft auf den Boden fallen. Als das Vieh merkt, dass ich nicht mehr kann, verliert es die Lust. Das Spiel ist aus! Die Katze springt auf ein Fensterbrett und schaut mitleidig auf mich herunter. Sie reibt sich am Fenster.Die Scheibe ist blind und verschmiert, aber dahinter steht eine Gestalt, völlig reglos. Ein Gesicht sieht mich unverwandt an, es lächelt. Panik packt mich. Ich laufe, falle über Hindernisse, klettere über Mauern, suche den Weg zurück, verlaufe mich. Als ich die Lichter der Straße sehe, merke ich, dass es dunkel geworden ist. Im Getriebe der Menschen fühle ich mich sicherer, aber ich drehe mich ständig um, ob die Fratze hinter mir her ist. Als mich die Wärme unserer Wohnung einhüllt, macht mir selbst Mamas Ohrfeige nichts aus, und ich bin glücklich, dass ich sofort ins Bett muss.
    Nachts erscheint mir das Gesicht im Traum. Ich will weglaufen, aber meine Füße kleben am Boden fest, ich komme nicht von der Stelle. Ich zerschlage das Fensterglas, prügle mit Fäusten auf die Fratze ein, immer wieder. Aber die Gestalt verharrt unbeweglich. Sie lacht mich aus, sie verhöhnt mich. Ihr Gelächter schallt in meinem Kopf. Mein Kopf ist eine riesige Halle. Mit beiden Händen halte ich mir die Ohren zu.
    Das Lachen geht über in Grölen. Ich schrecke hoch und taste nach der Gabel unter meinem Kopfkissen. Dann springe ich
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