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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers
Autoren: Julia Kröhn
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»Er könnte ein Verräter sein.«
    »Na und?«, erwiderte der junge Graf. »In meinem Reich könnte ein jeder zum Verräter werden. Wer sich nicht nur einem Erbe des Blutes verpflichtet weiß, sondern mehreren, hat immer etwas zu leugnen und zu vertuschen und zu unterdrücken. Warum aber soll ich nicht darauf vertrauen, dass es jedem Einzelnen gelingt, den Zwiespalt zum Guten zu nutzen, nicht zum Bösen?« Richard wandte sich wieder an Arvid: »Wirst du diese Aufgabe übernehmen? Wirst du mir treu sein? Wirst du mir helfen, mein Land zu regieren?«
    Auch Botho erhob nun keinen weiteren Einspruch mehr. Stille senkte sich über den Raum. Mathilda drückte Arvids Hand.
    »Ja, das werde ich tun«, erklärte Arvid tief bewegt.
    Der Augenblick kam ihm so unwirklich vor, zu viel des Glücks schien auf ihn hereinzubrechen: Er war mit der Frau vereint, die er liebte, und er hatte einen Platz auf dieser Erde gefunden.
    Doch die Feierlichkeit dieses Augenblicks währte nicht lange. Eben platzte der Mansionarius herein und verkündete, dass das Festbankett bereitet sei und Richard sich zu Tisch begeben möge. Der Mann wusste nicht, was sich gerade zugetragen hatte, und fügte ganz nüchtern hinzu, dass die vielen jungen Krieger schnell etwas in ihren Magen bekommen sollten, da sie schon den ganzen Tag tränken. Die Ersten hätten sich bereits übergeben.
    Er schien der einzige Mann, der sich vom blinden Jubel des Tages nicht anstecken ließ, der vielmehr alt genug war, um zu wissen, dass es dort, wo es nach krossem Fleisch roch, immer auch etwas gab, was stank, dass, wo erlesenste Speisen aufgetischt wurden, sich auch Abfälle häuften, und dass Männer, die mit Juwelen besetzte Kelche hoben, später betrunken auf dem schmutzigen Boden schnarchten.
    »Dann wollen wir die Hungrigen nicht warten lassen«, erklärte Richard.
    Er straffte die Schultern, als würde er dadurch größer werden, setzte wieder eine würdevolle Miene auf und begab sich von seinen Beratern begleitet in den Festsaal.

E PILOG
    Arvids und Mathildas Kind wurde an einem der ersten Tage des Jahres 946 geboren. Eine dicke weiße Schneedecke verhüllte das Land, dämpfte die Schritte und ließ sämtliche Bewegungen gemächlicher ausfallen. Es war eine stille Zeit.
    Die Wehen hatten im Morgengrauen eingesetzt. Als die Sonne, schwach und milchig, vom Himmel rutschte, kam Mathildas Tochter auf die Welt. Sie war noch von den Strapazen der Geburt zerknittert, aber tat voller Lebenswillen einen lauten, kräftigen Schrei.
    Als die Kleine begann, an Mathildas Brust zu saugen, kam Arvid an ihr Bett geeilt. Eine Weile vermochten sie beide nichts zu sagen, neues Leben verdiente nur ehrfürchtiges Staunen. Die Hebamme wickelte die Nachgeburt in ein Tuch und zog sich zurück.
    »Bist du enttäuscht, dass es kein Sohn ist?«, fragte Mathilda.
    »Wie sollte ich? Du bist stark, vielleicht stärker als ich. An unserem Leben haben wir beide schwer zu tragen, aber du tust es mit geraderem Rücken. Gleiches wünsche ich auch … ihr.«
    Vorsichtig streckte er die Hand aus und berührte den noch feuchten Flaum, der den winzigen weichen Kopf bedeckte. Das Kind kniff die Augen fest zusammen, aber seine Lippen schmatzten hungrig.
    »Wie sollen wir sie nennen?«
    In der Normandie hatte sich die gleiche Sitte durchgesetzt wie in der einstigen Heimat – Mädchen wurden meist nach den Großmüttern benannt. Doch weder Hawisa noch Gisla schien Mathilda und Arvid richtig. Die eine war zu verrückt gewesen, um ihr Kind vorbehaltlos zu lieben, die andere zu schwach.
    »Ich wünschte, sie hieße wie du«, sagte Arvid, »oder wie meine Ziehmutter Runa. Sie war eine starke Frau, der es gelang, dem Leben trotz widriger Umstände jedes Fünkchen Glück abzutrotzen, das es ihr zu bieten hatte.«
    »Dann lass uns aus zwei alten Namen einen neuen machen so wie wir aus unseren alten Leben ein gemeinsames neues gemacht haben. Wir könnten sie Alruna nennen.«
    Arvid strich einmal mehr über das Köpfchen der Kleinen. »Gott segne dich, Alruna.«
    Mathilda wiederholte seine Worte. »Und Gott segne auch Graf Richard. Gott segne die junge Normandie«, fügte sie hinzu. Dann schloss sie die Augen.
    Obwohl Mathilda jenen Ort seit ihrer Kindheit nie wiedergesehen hatte, stieg er plötzlich ganz deutlich vor ihr auf: die Wiese, wo salzige Meerluft wehte und auf der dennoch bunte Blumen wuchsen. Vielleicht konnte die Normandie eines Tages zu einem Land werden, wo es solche Orte gab. Vielleicht würde ihre
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