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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers
Autoren: Julia Kröhn
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ließ die Frage unausgesprochen, die ihr durch den Kopf ging: War er gnädig genug, dass auch sie beide in seinem Reich ein gutes Leben würden führen können? Mit ihrem Verrat an Hawisa hatte sie Arvids Freilassung erwirkt, mehr nicht. Sie waren ohne Ämter und Besitz, sie hatten keine mächtigen Freunde und Verwandten, und es gab wenig, was sie richtig gut konnten – nur schreiben, lesen und der Zerrissenheit ihrer Seele zum Trotz das Leben anpacken.
    »Ich habe gehört, dass Rudolf Torta Zuflucht beim Bischof von Paris sucht«, sagte Arvid.
    »Und ich hoffe, er lässt ihn für seine Sünden schwere Buße tun!«
    »Aber nur weil Rudolf Torta weg ist und alle Zeichen auf Frieden stehen, irgendwann werden die alten Feinde aus ihren Löchern gekrochen kommen – Arnulf, Ludwig, Hugo.«
    Es ist wie bei uns, dachte sie: Die Normandie hat ihren Grafen wieder, aber mehr auch nicht. Wir beide sind vereint, aber mehr auch nicht. Es gibt keine Gewähr fürs Glück. Der Weg in die Zukunft ist nicht von leuchtenden Blumen und goldenem Getreide gesäumt, sondern übersät von Steinen und dornigen Ranken.
    Schweigend sahen sie zu, wie Richard von Notre-Dame zur Burg zurückkehrte, wie Menschen vor ihm auf die Knie fielen, Menschen wie sie, in deren Adern das Blut von Heiden und von Getauften floss. Richard sahen sie nur von weitem, Osmond de Cent-Villes hingegen ritt direkt auf sie zu. Ganz konnte er seine Verachtung für Arvid nicht verbergen, und er zeigte fehlenden Respekt, indem er nicht vom Pferd stieg, sondern von oben herab zu ihnen sprach.
    »Richard möchte euch beide sprechen«, sagte er und rang sich immerhin ein schmales Lächeln ab.
    Als Mathilda und Arvid später die Gemächer des Grafen betraten, stand Richard beim Fenster und starrte hinaus. Seinen Umzug durch die Stadt hatte er mit würdevoller Miene überstanden, jetzt glich er wieder einem aufgeregten Kind, das nicht fassen konnte, wie inbrünstig und lautstark man ihn bejubelte.
    »Wie sie sich freuen!«, rief er, als er Arvid und Mathilda erblickte.
    Seine Stimme klang so hell und klar, als lägen keine zehrenden Wochen des Wartens und Bangens hinter ihm und als wäre die Freude seines Volks nicht auch eine gewaltige Bürde – verlangte sie doch, dass er sich ihrer würdig erwies.
    Arvid gönnte ihm jene spärlichen Augenblicke, da er nicht nur Graf war, sondern ein lebhafter junger Mann, und er war ebenfalls erleichtert, dass Richard ihm ohne Zurückhaltung begegnete, obwohl man ihm gewiss berichtet hatte, wessen man ihn beschuldigte. Er überlegte, ob er erneut versuchen sollte, die Wahrheit aufzuklären und seine Unschuld zu beweisen, doch ehe er sich dazu durchringen konnte, trat Richard auf ihn zu.
    »Du hast zu den engen Freunden meines Vaters gehört. Und du hast mir bei meiner Flucht aus Laon geholfen«, erklärte der junge Graf.
    Arvid sah, wie sich in den Gesichtern der anderen Anwesenden Widerspruch regte, neben Osmond waren Bernhard, Botho, Roche Tesson und Briquebec im Raum versammelt, doch Richard fuhr, ohne auf Arvids spätere Missetaten einzugehen, fort.
    »Ich weiß nicht genau, was du bist – ob Mönch, Krieger, Franke, Nordmann. Aber ich weiß, dass du klug und gottesfürchtig bist. Ich bin noch jung, ich muss noch so viel lernen. Und ich möchte, dass du einer meiner Lehrer wirst.«
    Alles hatte Arvid erwartet – nur nicht das. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Richard an. Auch für die anderen kam die Entscheidung unerwartet.
    »Richard«, setzte Bernhard der Däne an, »ist dir klar, wer Arvid ist? Ein Verwandter des fränkischen Königs!«
    Er klang nicht nur empört, sondern eher müde. Er hatte alle Ziele erreicht, seine Frau war wieder in die Normandie zurückgekehrt, aber er war nicht mehr der Jüngste, und die Ereignisse der letzten Jahre hatten Spuren hinterlassen. »Warum fällt deine Wahl ausgerechnet auf ihn?«
    Richard zuckte die Schultern. »Der fränkische König ist trotz allem mein Nachbar. Ich muss mit ihm leben und auskommen. Das Leben wird nicht einfacher, wenn wir uns stetig von Feinden bedroht fühlen.«
    »Und dennoch …«
    »Ich weiß, wessen man Arvid anklagt, aber genau deswegen ist er wertvoll. Ich will einen Lehrer, der auch Zweifel kennt und der nicht eindeutig auf einer Seite steht. In meinem Reich leben sie doch alle: Normannen, Franken, Christen, Heiden – ich will sie unter meiner Führung einen, und ich will, dass Arvid mich dabei berät.«
    Bernhard schwieg, aber Botho knurrte missmutig:
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